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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Nachricht. Man
hörte nur, sie seien in großer Zahl aus den Befestigungen zurückgezogen und
nach dem Süden in Marsch gesetzt worden, um die Eisenbahn zu verteidigen.
Niemand wußte, wo Kämpfe im Gange waren und wie sie standen. Man war auf die
Nachrichten angewiesen, die von Mund zu Mund gingen. Die Zeitungen hatten, als
die Belagerung begann, aus Mangel an Papier und Personal ihr Erscheinen
einstellen müssen, nun entstanden die wildesten Gerüchte aus dem Nichts und
jagten durch die Stadt. Die Menge sammelte sich vor General Hoods
Hauptquartier, vor dem Telegraphenbüro, vor dem Bahnhof und wartete auf
Nachrichten. Jedermann hoffte, das Verstummen der feindlichen Kanonen bedeute
den Rückzug der Yankees. Aber es kamen keine Nachrichten. Die Telegraphendrähte
schwiegen. Auf der einzigen Eisenbahnstrecke, die noch frei war, verkehrten
keine Züge. Der Postdienst war unterbrochen.
    Der Herbst
kam mit seiner staubigen, schwülen Hitze herangeschlichen, erstickte die
plötzlich so ruhig gewordene Stadt und legte auf die müden, angstvollen Herzen
auch noch das Gewicht seiner verzehrenden Dürre. Scarlett lechzte nach Briefen
aus Tara und versuchte, trotz allem ein tapferes Gesicht zu machen. Es schien
ihr eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit die Belagerung begonnen hatte. Ihr
war, als habe sie ihr ganzes Leben mit dem Kanonendonner in den Ohren
verbracht, bis diese unheimliche Ruhe hereinbrach. Und doch hatte die
Belagerung erst vor dreißig Tagen angefangen. Dreißig Tage lang war nun die
Stadt von Schützengräben aus rotem Lehm umgeben, dreißig Tage hatten die nie
rastenden Kanonen eintönig gedröhnt, hatten die langen Reihen von Krankenwagen
und Ochsenkarren die staubigen Straßen bis zu dem Lazarett hinunter eine Fährte
von Blut gezogen, hatten die überarbeiteten Totengräber die Leute
herausgezerrt, kaum daß sie erkaltet waren, und sie wie Holzklötze in endlose
Reihen flacher Gräber geworfen. Nur dreißig Tage.
    Und es war
erst vier Monate her, seitdem die Yankees aus Dalton nach Süden vorgedrungen
waren. Wenn Scarlett an jenen fernen Tag zurückdachte, war ihr, als gehörte er
einem anderen Leben an. Ein ganzes Menschenalter schien dazwischen zu liegen.
Damals waren Dalton, Resaca, Kennesaw Mountain ihr nur Ortsnamen an der
Eisenbahnstrecke gewesen. Nun bezeichneten sie blutige und furchtbare, umsonst
geschlagene Schlachten. Jetzt waren der Pfirsichbach, Decatur, die Esrakirche
und der Utoybach nicht mehr schöne Namen für idyllische Orte. Nie mehr konnte
man an sie als stille Stätten gastlicher Freude denken, als Ausflugsorte im
Grünen, wo man mit hübschen Offizieren an den sanft abfallenden Ufern langsam
fließender Gewässer gelagert hatte. Die Namen waren jetzt die Bezeichnungen von
Schlachten geworden. Das weiche grüne Gras, auf dem sie gesessen hatten, war
von den Spuren schwerer Kanonenräder zerrissen, von wilden Füßen im Nahkampf
zertreten, von Leibern im Todeskampf zerdrückt worden. Die trägen Wasser waren
jetzt röter, als je der Lehm Georgias sie hätte färben können. Der Pfirsichbach
sei dunkelrot gewesen, hieß es, als die Yankees ihn überschritten.
Pfirsichbach, Decatur, Esrakirche, Utoybach - das waren nicht mehr die Namen
von Orten, sondern von Friedhöfen. Namen der vier Seiten von Atlanta, auf denen
Sherman durchzubrechen versucht hatte, auf denen er von den verbissenen Truppen
Hoods zurückgeschlagen war.
    Schließlich
bekamen die von äußerster Angst gepeinigten Einwohner Nachrichten aus dem
Süden. Es waren Schreckensnachrichten, besonders für Scarlett. General Sherman
versuchte es nochmals von der vierten Seite der Stadt aus und führte einen
neuen Schlag gegen die Eisenbahn bei Jonesboro. Diesmal lagen keine
vereinzelten Trupps oder nur Kavallerieabteilungen, sondern die gesammelten Streitkräfte
des Feindes dort an der vierten Seite der Stadt. Tausende von konföderierten
Truppen waren aus der Front rings um die Stadt herausgezogen worden, um sich
ihnen entgegenzustellen. Das war die Erklärung für die plötzliche Stille.
    »Warum
haben sie es immer auf Jonesboro abgesehen?« dachte Scarlett voller Schrecken.
Tara lag ja so nahe. »Warum suchen sie sich nicht einen anderen Ort aus, um die
Bahn anzugreifen?«
    Seit einer
Woche hatte sie nichts mehr aus Tara gehört, und Geralds letzte Zeilen hatten
ihre Angst noch vergrößert. Carreen ging es schlechter, sie war sehr krank. Es
konnte nun tagelang dauern, bis die nächste Post durchkam, bis sie erfuhr,

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