Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
eine
Eskorte mit einer weißen Flagge, damit sie die Fronten passieren könnte. Ach,
käme doch nur das Kind! Sie hatte Ashley versprochen, bei Melanie auszuharren.
Sie hatte Gott versprochen, gut zu werden, wenn Mutter am Leben blieb.
    Ihr war
der Anblick der unheimlich stillen Stadt jetzt ebenso verhaßt, wie sie sie
einst geliebt hatte. Atlanta war nicht mehr die Stätte fröhlicher Vergnügungen,
sondern es war häßlich geworden wie ein von der Pest heimgesuchter Ort, von
Todesschweigen erfüllt nach dem Getöse der Belagerung. Es war, als gingen
Geister um. Die wenigen Soldaten, die man erblickte, sahen so erschöpft aus wie
Läufer, die sich zur letzten Runde eines schon verlorenen Wettkampfes zwingen.
    Es kam der
letzte Augusttag und mit ihm das gut bezeugte Gerücht, daß die schwersten
Kämpfe seit der Schlacht bei Atlanta im Gange seien. Nun wußte jeder, was die
Soldaten schon vierzehn Tage vorher gewußt hatten: es war für Atlanta die
Schicksalsstunde. Wenn die Eisenbahn nach Macon verlorenging, mußte auch
Atlanta fallen.
     
    21
     
    Am Morgen
des ersten September wachte Scarlett mit dem erstickenden Nachgefühl einer
Angst auf, die sie beim Einschlafen mit ins Bett genommen hatte. Sie dachte
noch halb im Schlummer: »Was hat mich so bedrückt? Ach ja, der Kampf. Irgendwo
war doch gestern eine Schlacht. Wer wohl gesiegt hat?« Geschwind setzte sie
sich auf und rieb sich die Augen, und ihr bedrücktes Herz nahm seine gestrige
Last wieder auf sich.
    Selbst in
dieser frühen Morgenstunde war die Luft unangenehm schwül und barg die
Verheißung eines grellen Mittagshimmels und einer erbarmungslosen Sonnenglut.
Auf der Straße war es still. Kein Wagen knarrte, keine marschierenden Schritte
wühlten den Staub auf. Aus den Nachbarküchen war kein Laut von Negerstimmen zu
vernehmen. Alle Nachbarn, außer den Damen Meade und Merriwether, waren nach
Macon geflohen. Das Geschäftsviertel am unteren Ende der Straße war ruhig.
Viele Läden und Büros waren geschlossen und verrammelt, während ihre Inhaber
draußen auf dem Lande unter Waffen standen.
    Eilig
erhob sich Scarlett, ohne sich, wie gewöhnlich, vorher zu recken und zu
strecken, und ging in der Hoffnung ans Fenster, irgend etwas Tröstliches zu
erblicken. Die Straße war leer. Es fiel ihr auf, wie dunkelgrün das Laub noch
war, aber wie trocken und dick mit rotem Staub bedeckt, und wie welk und
trübselig die vernachlässigten Blumen im Vordergarten sie ansahen.
    Während
sie noch hinausschaute, drang ein ferner Laut an ihr Ohr: ganz leise und
gedämpft wie das erste ferne Grollen eines heraufziehenden Gewitters. »Regen«,
dachte sie und fügte, auf dem Lande groß geworden, in Gedanken hinzu: »Wir
brauchen ihn nötig.« Aber gleich darauf wußte sie, daß es kein Gewitter war,
sondern Kanonendonner.
    Ihr Herz
klopfte wie rasend. Sie lehnte sich weit hinaus und suchte zu erlauschen, aus
welcher Richtung das Dröhnen kam, es war jedoch nicht zu erkennen, denn noch
war es zu fern. »Laß es von Marietta kommen, Herr«, betete sie, »oder aus
Decarur oder vom Pfirsichbach, aber nicht aus dem Süden.« Sie hielt sich am
Fenstersims fest und spitzte die Ohren. Immer lauter schien ihr das ferne
Donnern zu werden, und es kam aus dem Süden. Im Süden lagen Jonesboro und Tara,
im Süden war Ellen.
    Vielleicht
waren in dieser Minute die Yankees in Tara! Sie horchte wieder. Doch nun pochte
ihr das eigene Blut bis in die Ohren hinauf und verwischte den Klang der
Geschütze. Nein, bis Jonesboro konnten sie nicht sein, denn dann klängen sie
deutlicher. Wahrscheinlich standen sie bei der zehn Meilen entfernten kleinen Niederlassung
Rough and Ready. Aber Jonesboro lag kaum zehn Meilen von Rough and Ready
entfernt.
    Kanonendonner
im Süden. Vielleicht war es das Totengeläut für Atlanta. Aber Scarlett dachte
nur an ihre Mutter. Eine Schlacht im Süden bedeutete für sie eine Schlacht auf
Tara. Sie ging auf und ab und rang die Hände und dachte zum erstenmal den
Gedanken an eine Niederlage der grauen Armee mit all ihren Folgen bis zum Ende.
Sie wurde des Krieges und all seiner Schrecken klarer inne, als sie es je beim
Donner der Belagerungsgeschütze, beim Klirren der zerschossenen
Fensterscheiben, bei allen Entbehrungen an Nahrung und Kleidung, bei der
endlosen Reihe der Verwundeten und Sterbenden geworden war. Shermans Armee
befand sich im Bereich von Tara, und selbst wenn er geschlagen wurde, würden
die Yankees womöglich über Tara zurückweichen, und Gerald

Weitere Kostenlose Bücher