Margaret Mitchell
Frühstück für Melanie hinauf, dann machte Prissy sich auf den Weg zu
Mrs. Meade, und Scarlett setzte sich zu Wade, um selber zu frühstücken. Aber
sie hatte keinen Appetit. Ihre furchtsame Unruhe über Melanies Stunde und das
angestrengte Lauschen auf den Kanonendonner hinderten sie am Essen. Ihr Herz
zeigte sich launisch: manchmal schlug es regelmäßig, dann wieder pochte es so
laut und rasch, daß ihr fast schlecht davon wurde. Der schwere Maisbrei blieb
ihr wie Leim im Halse kleben, und nie zuvor war ihr die Mischung aus gedörrtem
Mais und gemahlener Batate, die als Kaffee diente, so zuwider gewesen. Ohne
Zucker und Rahm schmeckte sie gallenbitter. Nach einem Schluck schob sie die
Tasse weg. Schon aus diesem Grunde haßte sie die Yankees, weil sie ihr den
richtigen Kaffee mit Zucker und Rahm raubten. Wade war ruhiger als sonst und
beschwerte sich nicht einmal, wie allmorgendlich, über den Maisbrei, der ihm
widerstand. Schweigend aß er die Löffel leer, die sie ihm in den Mund schob,
und spülte es dann laut schlürfend mit Wasser hinunter. Seine sanften braunen
Augen folgten jeder ihrer Bewegungen. Sie waren groß und rund wie Dollarstücke
und voll kindlicher Ratlosigkeit, als hätte sich ihre eigene Furcht auf ihn
übertragen. Als er fertig war, schickte sie ihn zum Spielen in den Hintergarten
und sah erleichtert, wie er sich durch das spärliche Gras nach seiner
Spielkiste trollte. Sie stand auf und verharrte unentschlossen unten an der
Treppe. Sie hätte hinaufgehen und bei Melanie sitzen sollen, um ihr die trüben
Gedanken zu vertreiben, aber sie fühlte sich dem nicht gewachsen. Gerade diesen
Tag mußte Melanie sich aussuchen, ihr Kind zu bekommen. Gerade diesen Tag mußte
sie vom Sterben sprechen. Scarlett setzte sich auf die Treppe und suchte sich
zu beruhigen. Inbrünstig wünschte sie sich Onkel Peter herbei, damit er ins
Hauptquartier ginge und erführe, was sich draußen abspielte. Wäre nicht Melanie
droben, sie selber ginge noch diese Minute in die Stadt und erkundigte sich
selbst. Aber ehe nicht Mrs. Meade kam, konnte sie nicht fort. Warum kam nur
Mrs. Meade nicht, und wo blieb Prissy?
Sie trat
vor die Haustür und schaute ungeduldig aus, aber das Meadesche Haus lag hinter
einer Biegung der Straße verborgen. Nach längerer Zeit erschien Prissy allein
und schlenderte die Straße entlang, als hätte sie noch den ganzen Tag Zeit. Sie
ließ ihren Rock von einer Seite zur anderen wippen und blickte sich über die
Schulter, um das eigene Spiel zu betrachten. »Langsam wie der Sirup im Januar«,
fuhr Scarlett sie an, »Was hat Mrs. Meade gesagt, wann kommt sie herüber?«
»War nicht
da«, sagte Prissy.
»Wo ist
sie, wann kommt sie zurück?«
»Ja, nun,
Missis.« Prissy zog ihre Worte voller Genuß in die Länge, um ihrer Botschaft
das nötige Gewicht zu verleihen. »Cookie sagt, Missis Meade hat heute morgen
früh schlechte Nachricht kriegen, daß junger Master Phil angeschossen, und
Missis Meade haben den Wagen genommen und den alten Talbot und Betsy und sind
alle zusammen weg und wollen ihn holen. Cookie sage, er sehr schwer verwundet,
und Missis Meade können nicht daran denken, herkommen.«
Scarlett
starrte sie entgeistert an und hatte nicht übel Lust, sie durchzuschütteln.
Immer waren Neger so stolz darauf, eine schlechte Nachricht überbringen zu
können.
»Lauf zu
Mrs. Merriwether und bitte sie, herzukommen oder ihre Mammy zu schicken,
flink!«
»Die sind
nicht da, niemand da, Miß, ich hineingeschaut, ich wollen ein bißchen bei Mammy
bleiben, die sind aus, Haus ganz verschlossen, sind wohl vielleicht zu
Lazarett.«
»Da hast
du dich also so lange herumgetrieben! Wenn ich dich irgendwohin schicke, so
hast du dich nirgends aufzuhalten, sondern zu gehen und gleich wiederzukommen!
Marsch ... «
Sie hielt
inne und zerbrach sich den Kopf. Wer war noch von ihren Freundinnen in der
Stadt, der ihr helfen konnte? Mrs. Elsing! Mrs. Elsing konnte sie zwar nicht
ausstehen, aber Melanie hatte sie immer gern gehabt. »Geh zu Mrs. Elsing, setz
ihr alles genau auseinander und frag sie, ob sie nicht herkommen könne. Aber,
hör genau zu, Prissy, mit Miß Melly ist es soweit, sie kann dich jetzt jede
Minute brauchen. Halte dich mit nichts auf und komme gleich wieder zurück.«
»Jawohl,
Miß.«
Prissy machte
kehrt und schlenderte im Schneckengang den Weg hinunter.
»Beeil
dich!«
»Jawohl,
Miß.«
Prissy
beschleunigte ihre Schritte um ein weniges. Scarlett trat ins Haus. Wieder
besann sie
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