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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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sich, ehe sie zu Melanie hinaufging. Die Nachricht von Phils
schwerer Verwundung würde sie aufregen, sie würde ihr irgend etwas vorlügen
müssen. Sie trat in Melanies Zimmer, das Frühstück stand unberührt da. Melanie
lag mit schneeweißem Gesicht auf der Seite.
    »Mrs.
Meade ist ins Lazarett hinüber«, sagte Scarlett, »aber Mrs. Elsing kommt. Ist
dir sehr elend?«
    »Nicht
besonders«, log Melanie. »Sag, Scarlett, wie lange hat es bei Wade gedauert?«
    »Er war im
Handumdrehen da«, antwortete Scarlett so zuversichtlich, wie ihr durchaus nicht
zumute war. »Ich war draußen im Garten und hatte kaum Zeit, ins Haus zu kommen.
Mammy fand das höchst unschicklich. Es sei genau wie bei den Schwarzen.«
    »Ich
wollte, ich wäre auch wie eine Schwarze.« Melanie brachte ein mattes Lächeln
zustande, das plötzlich wieder verschwand, als ihr Gesicht sich vor Schmerz
verzerrte. Scarlett blickte auf Melanies allzu schmale Hüften mit dem Gefühl
der Hoffnungslosigkeit herab, sagte aber beruhigend. »Ach, es ist doch nicht so
schlimm.«
    »Ich weiß,
ich bin wohl sehr feige. Kommt Mrs. Elsing sofort?«
    »Ja,
sofort«, sagte Scarlett. »Ich gehe jetzt hinunter und hole frisches Wasser,
dann kühle ich dich ein wenig ab. Es ist heute so heiß.«
    Sie hielt
sich so lange wie möglich beim Wasserholen auf und lief alle zwei Minuten nach
der Tür, um nachzusehen, ob Prissy nicht kam. Dann ging sie wieder hinauf,
kühlte Melanies schweißnassen Körper mit dem Schwamm und kämmte ihr das lange
schwarze Haar.
    Nach einer
Stunde hörte sie Negerfüße auf der Straße heranschlurfen und sah aus dem
Fenster, wie Prissy langsam daherkam und sich drehte und den Rock schwenkte,
wie vorher, und mit tausend kindischen Zierereien den Kopf zurückwarf, als
hätte sie ein großes beifälliges Publikum.
    »Ich bleue
dem Balg noch das Fell durch«, dachte Scarlett ingrimmig und lief die Treppe
hinunter ihr entgegen.
    »Missis
Elsing drüben im Lazarett, Cookie meint, ein ganzer Haufen verwundeter Soldaten
mit Frühzug kommen sind, und Cookie packt Suppe ein, um rüberbringen, Cookie
sagt ... «
    »Einerlei,
was sie sagt«, unterbrach Scarlett sie verzweifelt. »Binde dir eine reine
Schürze um und lauf hinüber ins Lazarett. Ich gebe dir einen Brief für Dr.
Meade mit. Wenn er nicht da ist, gib ihn Dr. Jones oder einem der anderen
Ärzte, und wenn du dich dieses Mal nicht mehr beeilst, ziehe ich dir bei
lebendigem Leibe das Fell über die Ohren.«
    »Jawohl,
Miß.«
    »Frage
einen der Herren, wie die Kämpfe stehen. Wenn sie es nicht wissen, geh zum
Bahnhof und frag die Lokomotivführer, die die Verwundeten hereinbrachten; frag,
ob bei Jonesboro gekämpft wird.«
    »Allmächtiger
Gott, Miß?« In Prissys schwarzem Gesicht malte sich die Panik. »Die Yankees
sein doch nicht in Tara?«
    »Ich weiß
es nicht. Du sollst es ja gerade in Erfahrung bringen.«
    »Allmächtiger!
Miß, was tun sie nun mit meiner Ma!« Prissy fing an laut zu heulen.
    »Laß das
Heulen, Miß Melanie hört es. Binde dir schnell eine andere Schürze um.«
    Scarlett
warf ein paar hastige Zeilen auf den Rand von Geralds letztem Brief, das
einzige Stück Papier im Hause. Als sie es zusammenfaltete, fiel ihr Blick auf
Geralds Worte: »Deine Mutter ... Typhus ... unter keinen Umständen nach Hause
kommen ... « Sie schluchzte beinahe. Wäre nicht Melanie, sie bräche noch in
dieser Minute auf, und wenn sie Schritt für Schritt zu Fuß nach Hause gehen
müßte.
    Prissy
lief dieses Mal im Laufschritt davon, den Brief fest in der Hand. Scarlett ging
wieder zu Melanie und dachte über eine glaubwürdige Lüge nach, mit der sie
erklären konnte, warum auch Mrs. Elsing nicht kam. Aber Melanie fragte nicht.
Mit ihrem klaren, sanften Gesicht lag sie da auf dem Rücken, ihr Anblick
beruhigte Scarlett wieder ein wenig. Sie setzte sich zu ihr und versuchte, von
gleichgültigen Dingen zu sprechen. Aber die Gedanken an Tara bohrten grausam in
ihr. Sie sah die sterbende Ellen vor sich und die Yankees, die nach Atlanta
kamen und alles umbrachten und verbrannten. Bei alledem wogte der dumpfe, ferne
Donner immer wieder beängstigend gegen ihr Ohr. Schließlich wußte sie nichts
mehr zu sagen und schaute schweigend aus dem Fenster. Auch Melanie schwieg, nur
von Zeit zu Zeit verzerrte sich ihr stilles Gesicht vor Schmerz. Danach sagte
sie jedesmal: »Nein, es ist nicht so schlimm«, und Scarlett wußte, daß sie log.
Lautes Schreien wäre ihr lieber gewesen als dieses stille Dulden. Es

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