Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
war
sonderbar, aber sie brachte keinen Funken von Mitgefühl auf. Die eigene Not
zehrte zu sehr an ihrem Gemüt. Manchmal, wenn ihr Blick auf das
schmerzverzerrte Gesichtchen fiel, fragte sie sich, warum in aller Welt gerade
sie jetzt bei Melanie sein mußte. Sie hatte doch nichts mit ihr gemein, ja, sie
haßte sie sogar und hätte sie mit Freuden tot gesehen. Nun, vielleicht bekam
sie ihren Willen, noch ehe der Tag vorüber war. Bei diesem Gedanken überlief
sie eine kalte, abergläubische Furcht. Es brachte Unglück, jemandem den Tod zu
wünschen, es war fast so unheilvoll wie ein Fluch. Flüche fallen auf einen
zurück, pflegte Mammy zu sagen. Hastig sprach sie ein Gebet, Melanie möge nicht
sterben, und versuchte wieder fieberhaft, die Kranke zu unterhalten.
    Plötzlich
legte Melanie die heiße Hand auf ihren Arm. »Gib dir keine Mühe, Liebes. Ich
weiß, wie du dich grämst. Verzeih, daß ich dir so zur Last falle.« Scarlett
verstummte wieder, aber sie konnte nicht stillsitzen, sie ging zum Fenster,
blickte auf die Straße hinunter, setzte sich wieder und blickte abermals auf
der anderen Seite des Zimmers zum Fenster hinaus.
    Eine
Stunde verging und noch eine. Der Mittag kam. Die Sonne stand hoch und brannte
heiß, kein Hauch regte sich in den staubigen Blättern. Melanies Wehen wurden
jetzt heftiger, und ihr langes Haar war feucht von Schweiß. Das Nachthemd
klebte ihr in nassen Flecken am Körper. Schweigend wusch Scarlett ihr mit einem
Schwamm das Gesicht. Gott im Himmel, wenn nun das Kind kam, ehe ein Helfer zur
Stelle war. Was sollte sie tun! Von Geburtshilfe wußte sie weniger als nichts.
Gerade das hatte sie seit Wochen gefürchtet. Sie hatte darauf gerechnet, daß
Prissy sich auf die Hebammenkunst verstehen würde. Aber wo sie nur steckte?
Warum kam der Doktor nicht? Sie horchte abermals angestrengt zum Fenster
hinaus, und plötzlich kam es ihr vor, als sei das ferne Kanonengrollen
verstummt.
    Endlich
kam Prissy die Straße heruntergelaufen, blickte empor, sah die Herrin und
öffnete den Mund zu einem Geschrei. Scarlett gewahrte das Entsetzen in ihrem
kleinen schwarzen Gesicht und legte schleunigst den Finger an die Lippen, damit
Melanie nicht durch eine Schreckensnachricht aufgeregt würde. Dann verließ sie
das Zimmer und ging Prissy entgegen. Prissy saß keuchend auf der untersten
Treppenstufe im Flur.
    »Sie
kämpfen bei Jonesboro, Miß Scarlett! Sie sagen, unsere Herren werden
geschlagen, o Gott, Miß Scarlett, was wird aus Ma und Pork, o Gott, Miß
Scarlett, was wird aus uns, wenn die Yankees herkommen! O Gott, o mein Gott!«
    Scarlett
verschloß ihr den schreienden Mund mit der Hand. Entschlossen schob sie alle
anderen Gedanken in den Hintergrund und hielt sich an die drängenden
Forderungen des Augenblicks. »Wo ist Dr. Meade, wann kommt er?«
    »Ich haben
ihn gar nicht nie überhaupt nicht gesehen, Miß Scarlett! Nein, in Wirklichkeit,
Miß, er nicht im Lazarett, auch Missis Merriwether und Missis Elsing nicht, ein
Mann mir sagen, der Doktor ist unten im Wagenschuppen bei den verwundeten
Soldaten, die eben von Jonesboro gekommen, aber Miß Scarlett, ich zu bange zum
Schuppen gehen, da unten sterben die Leute alle tot, ich habe so Angst vor
toten Menschen!«
    »Und die
anderen Doktoren?«
    »Bei Gott,
Miß Scarlett, ich kann keinen dazu bringen, daß er Ihren Brief lesen. Die
arbeiten alle im Lazarett, als wenn sie alle verrückt sind, ein Doktor mir
sagen, verfluchtes Gör, komme uns nicht hier mit Babys, wenn wir mit sterbenden
Männern zu tun haben!< Dann ich bin überall herumgelaufen und nach
Nachrichten fragen, wie Miß mir gesagt, und alle haben gesagt >Kämpfe bei
Jonesboro<, und ich ...«
    »Du sagst, Dr. Meade ist am
Bahnhof?«
    »Jawohl, Miß.«
    »Nun höre
genau zu. Ich hole Dr. Meade, und du sitzt solange bei Miß Melanie und tust
aufs Wort, was sie dir sagt. Und wenn du ihr ein Sterbenswort von den Kämpfen
verrätst, verkaufe ich dich nach dem Süden, so sicher, wie ein Gewehr aus Eisen
ist. Und sag ihr auch nicht, daß die anderen Doktoren nicht kommen können,
hörst du?«
    »Jawohl, Miß.«
    »Trockne
dir die Augen, hol einen Eimer frisches Wasser und geh hinauf. Wasch Miß
Melanie ab und sag ihr, ich hole Dr. Meade.«
    »Es ist schon soweit, Miß
Scarlett?«
    »Ich
fürchte, aber ich weiß nicht genau. Du solltest es wissen. Geh jetzt hinauf.«
    Sie
stülpte sich den breiten Strohhut auf den Kopf und strich sich mechanisch vorm
Spiegel die losen Haarsträhnen unter den Hut.

Weitere Kostenlose Bücher