Margaret Mitchell
Pferd in den tiefen
Wagenspuren zu Boden und rührte sich nicht mehr und wollte auch nicht
aufstehen, als sie und Prissy es am Zügel in die Höhe zu zerren suchten.
Dann hatte
sie es ausgespannt und war, selber todmüde, in den Wagen gekrochen, um ihre
schmerzenden Beine auszustrecken. Sie entsann sich noch dunkel, wie, ehe der
Schlaf ihr die Lider schloß, Melanies schwache Stimme sie anflehte: »Scarlett,
bitte, kannst du mir nicht etwas Wasser geben?«
»Es ist
keins da«, hatte sie erwidert und war eingeschlafen, ehe sie die Worte noch
völlig ausgesprochen hatte.
Nun war
der Morgen da. Still und klar lag die Welt vor ihr, grün und voll goldener
Sonnenflecken. Kein Soldat war zu sehen, so weit das Auge reichte. Sie war hungrig
und dem Verdursten nahe, und die verkrampften Glieder taten ihr weh. Sie spürte
eine dumpfe Verwunderung darüber, daß sie, Scarlett O'Hara, die nur in den
weichsten Federbetten, auf den besten Leinenlaken zu schlafen vermochte, wie
eine Pflückerin auf harten Brettern genächtigt hatte.
Ihre Augen
blinzelten im hellen Sonnenlicht, und ihre Blicke fielen auf Melanie. Das
Entsetzen packte sie an, so still und bleich lag sie da - sie mußte wohl tot
sein. Sie sah mit ihrem zermarterten Antlitz und dem wirren schwarzen Haar, das
darüber lag, wie eine tote alte Frau aus. Aber dann gewahrte Scarlett voller
Erleichterung, wie ihre Brust sich leise hob und senkte, und sie wußte nun, daß
auch Melanie diese Nacht überlebt hatte.
Sie hielt
sich die Hand über die Augen und spähte umher. Offenbar hatten sie die Nacht
unter dem Baum eines Vorgartens zugebracht, denn eine sandige, kiesbestreute
Einfahrt, die sich unter einer Zedernallee hinzog, lag vor ihren Augen. »Wir
sind bei Mallorys«, dachte sie frohen Herzens und wähnte Freunde und Hilfe
nahe.
Aber
Totenstille lag über die Plantage gebreitet. Die Büsche und der Rasen waren von
Hufen, Rädern und Tritten, die darüber hingetobt sein mußten, in Stücke
zerrissen, der Boden war wie aufgewühlt. Anstatt des weißen, mit Schindern
gedeckten Hauses, das sie so gut kannte, sah sie nur im langen Rechteck den
geschwärzten Granit der Fundamente vor sich liegen und zwei hohe Schornsteine,
die rauchgeschwärzt in die versengten Blätter regloser Bäume hineinragten.
Tief und
erschaudernd schöpfte sie Atem. War auch Tara, so dem Erdboden gleich -
schweigsam wie der Tod?
»Daran
darf ich jetzt nicht denken«, sagte sie sich rasch. »Wenn ich daran denke,
sterbe ich.« Aber doch konnte sie sich nicht dagegen wehren, daß ihr das Herz
rascher und rascher hämmerte und ihr mit jedem Schlag in die Ohren donnerte:
»Nach Hause, nach Hause!«
Sie mußte
den Heimweg weiterverfolgen. Aber zuerst mußte sie etwas zu essen haben und
Wasser finden. Mit einem Stoß weckte sie Prissy. Prissy rollte die Augen, als
sie sich umschaute. »O Gott, o Gott, Miß Scarlett, ich hatte nicht gedacht, daß
ich noch wieder aufwachen, höchstens nur vielleicht im gelobten Land!«
»Bis dahin
ist es noch weit«, sagte Scarlett und versuchte, sich das wirre Haar zu
glätten. Schon waren ihr Gesicht und Körper naß von Schweiß. Sie fühlte sich
schmutzig und klebrig, und ihr war, als müßte sie schlecht riechen. Ihr Kleid
war zerknüllt und faltig, weil sie darin geschlafen hatte. Sie hatte sich ihr
Lebtag noch nie so müde und wund gefühlt; Muskeln, von deren Dasein sie gar
nichts wußte, taten ihr nach den ungewohnten Anstrengungen der beiden letzten
Nächte weh, und jede Bewegung schmerzte.
Ein Blick
auf Melanie zeigte, daß deren schwarze Augen nun geöffnet waren. Es waren
fieberglänzende, kranke Augen mit tiefen dunklen Rändern darunter. Zwei
trockene, aufgesprungene Lippen öffneten sich und flüsterten bittend: »Wasser.«
»Steh auf,
Prissy«, befahl Scarlett, »wir wollen zum Brunnen und Wasser holen.«
»Ach, Miß
Scarlett, da können doch Gespenster sein, wenn da nun jemand gestorben ist!«
»Ich mache
dich zum Gespenst, wenn du nicht sofort gehorchst!« schalt Scarlett, die keine
Lust mehr hatte, auf Einwände zu antworten, und kletterte selber mit lahmen
Gliedern aus dem Wagen.
Da kam ihr
der Gedanke an das Pferd. Herrgott, wenn das Pferd nun in der Nacht verendet
war! Als sie es ausgespannt hatte, war es dem Tode anscheinend sehr nahe. Sie
lief um den Wagen herum und sah es dort auf der Seite liegen. Wenn es verendet
war, so wollte sie Gott fluchen und auch sterben. Hatte das nicht jemand in der
Bibel getan? »Er fluchte Gott und starb.«
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