Margaret Mitchell
hindurch, bis sie ihr sogar in den
Fingerspitzen fühlbar wurde. Was für ein herrliches Gefühl, dieses gütige
Feuer! Es drang ihr bis in das eisumschlossene Herz hinein, und neue Kraft
durchströmte sie. Sie sah Geralds ratloses, mißbilligendes Gesicht und
streichelte ihm wieder das Knie, und es gelang ihr, eine Spur jenes kecken
Lächelns, das er immer so geliebt hatte, auf ihr Gesicht zu zaubern. »Wie
sollte ich denn einen Rausch bekommen, Pa? Ich bin doch deine Tochter. Habe ich
nicht den trinkfestesten Kopf aus der Provinz Clayton geerbt?«
Er lächelte
ihr aus müden Zügen zu. Der Whisky stärkte auch ihn. Sie reichte ihm die
Flasche zurück. »Nun trink noch einmal, Pa, und dann gehst du mit mir hinauf,
und ich bringe dich zu Bett.« Sie hielt inne. In einem solchen Ton sprach sie
doch sonst mit Wade, durfte sie das mit ihrem Vater? Es war unehrerbietig. Er
aber hing an ihren Blicken.
»Ja, ich
bringe dich zu Bett«, wiederholte sie leichthin, »und gebe dir noch etwas zu
trinken, vielleicht den ganzen Rest, damit du einschläfst. Du brauchst Schlaf,
und Katie Scarlett ist hier; um nichts brauchst du dich mehr zu kümmern. Trink
nur.«
Er trank
gehorsam. Dann umschlang sie ihn und zog ihn empor. Pork nahm die Kürbisflasche
in die eine Hand und mit der anderen Geralds Arm. Scarlett ergriff die
brennende Kerze, und alle drei gingen sie langsam in den dunklen Flur hinaus
und die gewundene Treppe hinauf in Geralds Zimmer.
Die Stube,
in der Suellen und Carreen sich auf dem gleichen Bette unruhig wälzten und vor
sich hin murmelten, roch übel von dem in einer Schüssel mit Schweinefett
brennenden Stofflappen, der als einziges Nachtlicht diente. Als Scarlett die
Tür öffnete, wurde sie von der verbrauchten Luft in dem völlig geschlossenen
Raum, dem Schweißdunst, dem Geruch der Arznei und des brennenden Fettes fast
ohnmächtig. Die Ärzte behaupteten, frische Luft in einem Krankenzimmer sei
schädlich; aber wenn sie hier sitzen sollte, mußte sie Luft schöpfen, sonst
ging sie zugrunde. Sie öffnete alle drei Fenster, und der Duft von Eichenlaub
und Erde strömte herein, aber er konnte den Krankendunst nicht vertreiben, der
sich seit Wochen in dem verschlossenen Raum gestaut hatte.
Carreen
und Suellen lagen abgemagert und totenbleich in fiebrigem Schlummer, und wenn
sie erwachten, sprachen sie leise, mit großen, starren Augen vor sich hin. Sie
lagen in dem gleichen Himmelbett, in dem sie in besseren, glücklichen Tagen
lange Abende hindurch miteinander getuschelt hatten.
In der
Ecke des Zimmers stand ein schmales, leeres Empirebett mit geschweiftem Kopfund
Fußende, das Ellen aus Savannah mitgebracht hatte. Dort hatte sie gelegen.
Scarlett
setzte sich zu den beiden Schwestern auf den Bettrand und starrte sie mit
erloschenen Augen an. Der Whisky, den sie auf völlig nüchternen Magen getrunken
hatte, begann seine Wirkung zu tun. Manchmal sah sie die Mädchen winzig klein
in unendlicher Ferne, und ihr Stöhnen hörte sich wie Bienengesumm an. Dann
wieder tauchten sie riesengroß vor ihr auf und schienen sich auf sie
niederstürzen zu wollen. Sie war zu Tode erschöpft.
Nun
öffnete sich leise die Tür, und Dilcey trat ein. Melanies Kind hielt sie an der
Brust und die Whiskyflasche in der Hand. In dem räucherigen, Ungewissen Licht
sah sie noch hagerer aus, als Scarlett sie zuletzt gesehen hatte. Das
Indianische trat in ihrem Gesicht deutlicher hervor. Die hohen Backenknochen
waren noch eckiger, die Hakennase noch schärfer und die kupferrote Haut heller
als sonst. Ihr verblichenes Kattunkleid war bis zur Taille geöffnet, und ihre
breite bronzefarbene Brust war entblößt Sie drückte das Baby fest an sich.
Gierig sog es mit seinem kleinen knospenartigen Mündchen an der dunklen Warze
und faßte mit den winzigen Fäusten in das weiche Fleisch wie ein Kätzchen in
das warme Fell der Mutter.
Schwankend
stand Scarlett auf und legte die Hand auf Dilceys Arm.
»Es ist
schön von dir, daß du hiergeblieben bist, Dilcey.«
»Aber wie
kann ich denn mit dem Niggerpack weglaufen. Miß Scarlett, wo doch Ihr Pa so gut
gewesen, mich und meine kleine Prissy kaufen, und Ihre Ma immer so freundlich
zu mir gewesen!«
»Setz
dich, Dilcey. Das Kleine trinkt? Und wie geht es Miß Melanie?«
»Dem Kind
fehlt nichts, es hat nur Hunger. Was ein hungriges Kind braucht, hab' ich. Und
Miß Melly geht es auch gut, sie stirbt nicht, Miß Scarlett, ängstigen Sie sich
nicht, ich habe zu viele Weiße und Schwarze gesehen,
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