Margaret Mitchell
zweiunddreißig Jahre alt, nach dem Maßstab ihrer Zeit eine Frau
mittleren Alters, eine Frau, die sechs Kinder geboren und drei begraben hatte.
Sie war eine hochgewachsene Erscheinung, einen Kopf größer als ihr feuriger
kleiner Gatte, aber sie bewegte sich in den wiegenden Hüften mit so ruhiger
Anmut, daß ihre Größe gar nicht auffiel. Der elfenbeinfarbene, wohlgerundete
schlanke Hals erhob sich aus der schwarzen Tafthülle ihres enganliegenden
Kleides, von der Fülle des üppigen Haars, das ein Netz am Hinterkopf
zusammenhielt, scheinbar sacht nach hinten gezogen. Von ihrer französischen
Mutter, deren Eltern in der Revolution von 1791 aus Haiti geflohen waren, hatte
sie die schräggeschnittenen dunklen Augen, die tintenschwarzen Wimpern, die sie
überschatteten, und das dunkle Haar; von ihrem Vater, einem Soldaten Napoleons,
die lange gerade Nase und das eckig geschnittene Untergesicht, dessen Strenge
durch die sanfte Rundung der Wangen gemildert wurde. Aber das Leben selbst
hatte Ellens Gesicht seinen Ausdruck verliehen, jenen Ausdruck von Stolz, dem
doch jeder Hochmut fremd war, von Güte, Melancholie und völliger
Beherrschtheit.
Sie hätte
eine auffallend schöne Frau sein können, wäre in ihren Augen nur ein Fünkchen
Glut gewesen; ein wenig entgegenkommende Wärme in ihrem Lächeln, ein Unterton
von Natürlichkeit in der Stimme, die als sanfte Melodie ihren Angehörigen und
ihren Bediensteten ans Ohr schlug.
Sie sprach
in der weichen, undeutlichen Mundart der georgianischen Küste, mit klingenden
Vokalen, leichten Konsonanten und einer Spur von französischem Akzent. Nie hob
sich die Stimme zum Befehl an einen Diener, zum Verweis an ein Kind, aber ihr
wurde in Tara aufs Wort gehorcht, während das Poltern und Stürmen des Gatten
stillschweigend überhört wurde.
Für
Scarlett war ihre Mutter seit unvordenklichen Zeiten stets sich selber gleich.
Ihre Stimme war ebenmäßig sanft und süß, ob sie lobte oder tadelte, ihre Art
und Weise immer gleichmäßig und bestimmt, trotz der täglichen Anforderungen,
die Geralds bewegter Haushalt mit sich brachte, der Geist immer ruhig und der
Rücken ungebeugt, sogar als die kleinen Söhne starben. Scarlett hatte nie
gesehen, daß der Rücken ihrer Mutter eine Stuhllehne berührt hätte. Nie hatte
sie gesehen, daß sie sich ohne eine Näharbeit niedersetzte, es sei denn zum Essen,
zur Krankenpflege oder zur Buchführung für die Plantage. Wenn Besuch da war,
arbeitete sie an feinen Stickereien, sonst waren ihre Hände mit Geralds fein
gefältelten Hemden, mit der Garderobe ihrer Töchter oder den Kleidungsstücken
für die Sklaven beschäftigt. Ohne goldenen Fingerhut konnte Scarlett sie sich
gar nicht vorstellen, ebensowenig wie sie sich von der Seite der
seidenraschelnden mütterlichen Gestalt das kleine Negermädchen wegdenken
konnte, dessen einziges Amt im Leben war, die Heftfäden aufzulesen und der
Herrin den Nähkasten aus Rosenholz von Stube zu Stube nachzutragen, wenn sie
durchs Haus ging, um die Küche, das Reinmachen und die große Schneiderei für
den Bedarf der Plantage zu überwachen.
Nie hatte
sie ihre Mutter aus ihrer strengen Gelassenheit heraustreten sehen, nie ihre
Kleidung anders als untadelig erblickt, einerlei zu welcher Tagesoder
Nachtstunde. Wenn Ellen sich zum Ball, für Gäste oder auch nur für einen
Gerichtstag in Jonesboro anzog, brauchte sie für gewöhnlich zwei Stunden, zwei
Kammerjungfern und Mammy dazu, bis sie mit ihrer Erscheinung zufrieden war.
Dagegen war es ganz erstaunlich, wie geschwind sie sich im Notfall
zurechtmachen konnte.
Scarletts
Zimmer war von dem ihrer Mutter nur durch die Halle getrennt, und sie kannte
von frühester Jugend an das leise Geräusch, mit dem in der Morgendämmerung
nackte schwarze Füße über das Hartholz des Fußbodens huschten, das dringende
Klopfen an ihrer Mutter Tür und die gedämpften, angstvollen Negerstimmen, die
von Krankheit, Geburt und Tod in der langen Reihe weiß verputzter kleiner
Häuser im Negerviertel flüsterten. Als Kind war sie oft an die Tür geschlichen
und hatte durch einen winzigen Spalt Ellen aus dem Dunkel des Zimmers, in dem
Gerald mit ungestörter Regelmäßigkeit weiterschnarchte, auftauchen und in das
flackernde Licht einer emporgehaltenen Kerze treten sehen, die Arzneitasche
unter dem Arm, das Haar in seiner glatten Ordnung, und am Kleid kein Knopf, der
nicht sauber zugemacht war.
Es hatte
Scarlett immer so beruhigt, wenn sie ihre Mutter flüstern hörte,
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