Margaret Mitchell
habe gemordet.
Ihre Augen
wanderten zu der kurzen behaarten Hand auf dem Boden, ganz nahe bei dem
Nähkasten, und auf einmal war sie wieder lebendig und froh wie ein Raubtier.
Sie hätte ihre Ferse in die klaffende Wunde hineintreten und die Wärme des
Blutes an ihrem nackten Fuß genießen können. Sie hatte Rache genommen für Tara
und für Ellen.
Plötzlich
stolperte oben jemand über den Flur dahin, es wurde wieder still, dann hörte
sie abermals Schritte, jetzt schwach und schleppend, dazu ein metallisches
Klirren. Nun waren Zeit und Wirklichkeit wieder da. Scarlett blickte auf und
sah oben an der Treppe in dem zerlumpten Hemd, das ihr als Nachtgewand diente,
Melanie stehen, den schwachen Arm vom Gewicht des Degens zu Boden gezogen.
Melanie umfaßte das ganze Bild da unten mit ihren Blicken, den hingestreckten,
blau uniformierten Körper in der roten Blutlache, den Nähkasten und Scarlett,
barfuß, mit grauen Wangen, in der Hand die lange Pistole.
Schweigend
sahen die beiden einander an. In Mellys sonst so sanftem Gesicht glühte ein
grimmiger Stolz und eine wilde Freude, die dem flammenden Tumult in Scarletts
Brust gleichkam.
»Ja - sie
versteht mich!« dachte Scarlett in diesem langen Augenblick. »Sie hätte ebenso
gehandelt.«
Im
Innersten ergriffen blickte sie zu dieser schwachen, wankenden Gestalt hinauf,
für die sie bisher nur Abneigung und Verachtung empfunden hatte. Im Kampf mit
dem Haß gegen Ashleys Frau regte sich in ihr ein Gefühl der Bewunderung und
Kameradschaft. Ungetrübt von jeder kleinlichen Regung kam ihr in aufblitzender
Klarheit die Erkenntnis, daß hinter Melanies sanfter Stimme und ihren
Taubenaugen sich eine feine, blanke Klinge unzerbrechlichen Stahls verbarg, daß
in Melanies gleichmäßig gelassenem Gemüt die Glut eines heldischen Geistes
lebendig war.
In diesem
Augenblick gellten die matten, erschreckten Stimmen Suellens und Carreens durch
die verschlossene Tür: »Scarlett, Scarlett!« und Wades dünnes Angstgeschrei
mischte sich hinein. Sofort legte Melanie den Finger an die Lippen, ließ den
Degen auf die oberste Treppenstufe niedergleiten und ging mühsam durch den Flur
ins Krankenzimmer zurück. »Nicht bange sein, ihr Hühnchen«, sagte sie lustig.
»Eure große Schwester wollte von Charles' Pistole den Rost abputzen, dabei ging
sie los und hat uns zu Tode erschreckt! ... Wade Hampton, Mama hat nur des
lieben Vaters Pistole abgeschossen. Wenn du groß bist, darfst du selber damit
schießen.«
Scarlett
war voller Bewunderung. »Das hätte ich mir so schnell nicht ausdenken können.
Aber wozu die Lüge? Sie werden ja doch erfahren, was ich getan habe.«
Wieder
schaute sie die Leiche an, und als Wut und Entsetzen schwanden, kam ihr der
Ekel. Unter der Nachwirkung des Geschehenen zitterten ihr die Knie. Melanie
schleppte sich wieder bis an die Treppe und machte sich auf den Weg hinunter,
die bleiche Unterlippe zwischen den Zähnen, eine Hand fest am Gitter.
»Geh
wieder ins Bett, du holst dir den Tod,« rief Scarlett, aber Melanie mühte sich,
halbnackt, wie sie war, die Treppe hinunter.
»Scarlett«,
flüsterte sie, »wir müssen ihn fortschaffen und begraben. Vielleicht ist er
nicht allein, und wenn sie ihn hier finden... «
»Er muß
allein sein«, versetzte Scarlett. »Ich konnte aus dem oberen Fenster sonst
niemanden sehen. Es wird ein Deserteur sein.«
»Auch dann
darf es niemand wissen. Die Neger könnten schwatzen, und dann sind sie hinter
dir her. Scarlett, wir müssen ihn fortschaffen, ehe unsere Leute zurückkommen.«
Bei
Melanies fieberhaftem Drängen dachte Scarlett scharf nach. »Ich könnte ihn in
der Ecke des Gartens unter der Laube begraben. Dort, wo Pork das Whiskyfaß
verborgen hatte, ist der Boden weich. Aber wie sollen wir ihn hinbringen?«
»Wir
fassen jede ein Bein an und ziehen ihn«, sagte Melanie entschlossen. Scarletts
widerstrebende Bewunderung wuchs.
»Du
könntest doch keine Katze von der Stelle bringen; ich tue es allein«, sagte sie
schroff. »Geh wieder ins Bett. Wenn du dich unterstehst, mir zu helfen, trage
ich dich auf meinen eigenen Armen nach oben.«
Melanies
weiches Gesicht erhellte sich in liebevoll verstehendem Lächeln. »Du bist sehr
lieb«, sagte sie und streifte mit den Lippen sacht über ihre Wange. »Während du
ihn fortbringst, wische ich ... das hier auf ... ehe die andern wieder nach
Hause kommen. Und, Scarlett, meinst du, es wäre schlecht von uns, seinen
Tornister zu durchsuchen? Vielleicht hat er etwas zu essen
Weitere Kostenlose Bücher