Margaret Mitchell
den
stahlharten, seidenfesten Mut, den Melanie in der schrecklichen letzten Nacht
zu Atlanta und auch während des ganzen langen Heimwegs bewiesen hatte. Es war
der unfaßbare verhaltene Mut, den alle Wilkes besaßen, ein Mut, den Scarlett
nicht verstand, dem sie aber widerstrebend Hochachtung zollte.
»Geh
wieder ins Bett«, rief sie ihr zu, »du stirbst, wenn du dich nicht hinlegst.
Ich will hier schon saubermachen, wenn ich ihn begraben habe.«
»Ich tue
es mit einem Flickenteppich«, flüsterte Melanie und sah mit grünlichem Gesicht
nach der Blutlache.
»Nun, dann
bring dich um! Und wenn jemand nach Hause kommt, ehe ich fertig bin, so halte
ihn im Hause fest und sag, das Pferd sei uns zugelaufen.«
Schaudernd
saß Melanie da in der Morgensonne und hielt sich die Ohren zu, um nicht zu
hören, wie der Kopf des Toten die Haustreppe hinabpolterte.
Niemand
fragte, woher das Pferd kam. Es war ganz wahrscheinlich, daß sich ein Pferd aus
der Schlacht hierher verlief, und alles freute sich, daß es da war. Der Yankee
lag in der flachen Grube, die Scarlett unter der Laube in die Erde gekratzt hatte;
die Stützen, die die Ranken trugen, waren angefault, und in der Nacht brachte
Scarlett sie mit einem Küchenmesser zum Umfallen, so daß sie mit einem Gewirr
von Grün das Grab zudeckten.
Kein
Gespenst stand auf und suchte sie in den langen Nächten heim, wenn sie zu müde
war, um schlafen zu können. In der Erinnerung überfiel sie kein Entsetzen und
quälten sie keine Gewissensbisse. Noch vor einem Monat hätte sie eine solche
Tat nicht vollbringen können. Die niedliche Mrs. Hamilton mit ihren Grübchen
und ihren klingenden Ohrringen in ihrer reizenden, hilflosen Art nun hatte sie
das Gesicht eines Mannes zu Brei geschossen und ihn hastig in einem notdürftig
gescharrten Loch vergraben. Scarlett lächelte grimmig vor sich hin, wenn sie an
das Entsetzen dachte, das eine solche Vorstellung bei allen, die sie kannten,
hervorrufen würde. »Ich muß mich wohl ein wenig verändert haben, seit ich
heimgekommen bin«, dachte sie, »sonst hätte ich es nicht gekonnt. Nun ist es
abgetan und vorbei; jedenfalls habe ich mich nicht wie ein Feigling benommen.«
Diese
Erinnerung blieb in den Untergründen ihres Gemütes, und jedesmal, wenn sie
künftig etwas Unangenehmes und Schweres zu verrichten hatte, gab sie ihr Kraft.
»Ich habe einen Mord begangen«, pflegte sie sich dann zu sagen, »wie sollte ich
denn dies nicht können?«
Der Panzer
von Härte, der sich um ihr Herz zu legen begonnen hatte, als sie im
Gemüsegarten zu Twelve Oaks auf der Erde lag, wuchs und wurde immer noch
härter.
Nun hatte
Scarlett ein Pferd und konnte selber zu den Nachbarplantagen reiten und sich
dort umsehen. Seit ihrer Heimkehr hatte sie sich tausendmal verzweifelt
gefragt, ob sie denn in der ganzen Provinz allein übriggeblieben seien. Die
Erinnerungen an die Ruinen von Twelve Oaks und den Häusern von Maclntoshs und Slatterys
waren noch so frisch, daß sie sich fast vor der Wahrheit fürchtete. Aber lieber
wollte sie das Schlimmste erfahren als weiter im Ungewissen bleiben. Sie
beschloß, zu dem Fontaineschen Besitz hinüberzureiten, nicht, weil das die
nächsten Nachbarn waren, sondern weil vielleicht der alte Doktor Fontaine noch
dasein würde. Melanie brauchte einen Doktor. Sie erholte sich nicht, wie sie
sollte, und erschreckte Scarlett durch ihre anhaltende Schwäche.
Sobald sie
wieder einen Schuh am Fuß ertragen konnte, bestieg Scarlett das Pferd des
Yankees. Sie ritt über die Felder nach Mimosa und war darauf gefaßt, es
abgebrannt vorzufinden. Aber zu ihrer freudigen Überraschung stand das
verblichene, gelbverputzte Haus noch zwischen den Mimosenbüschen und sah aus
wie immer. Vor Glück hätte sie fast Tränen vergossen, als die drei
Fontaineschen Frauen herauskamen und sie mit Küssen und Freudenrufen begrüßten.
Aber als
das erste liebevolle Willkommen ausgetauscht war und sie alle ins Eßzimmer
gingen, um sich zu setzen, überlief es Scarlett doch kalt. Die Yankees hatten
Mimosa nicht überfallen, weil es so weitab von der Hauptstraße lag. Fontaines
hatten deshalb auch ihr Vieh und ihre Vorräte behalten, aber dieselbe
unheimliche Stille, die über Tara und der ganzen Gegend lag, hielt auch diese
Plantage in Bann. Alle Sklaven, mit Ausnahme von vier Hausnegerinnen, waren aus
Angst vor den Yankees fortgelaufen. Kein Mann war im Hause. Sallys kleiner
Junge Joe war kaum aus den Windeln heraus. In dem großen Hause lebten
Weitere Kostenlose Bücher