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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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war. Vor Angst erstarrt, hörte sie
ihn unten von Zimmer zu Zimmer wandern, immer lauteren, kühneren Schrittes, als
er niemanden vorfand. Jetzt war er im Eßzimmer, und im nächsten Augenblick
mußte er die Küche betreten.
    Bei dem
Gedanken an die Küche flammte in Scarlett die Wut so heftig auf, als bohre sich
ihr ein Messer ins Herz, und überwältigte alle Angst. Die Küche! Dort auf dem
offenen Fenster standen zwei Töpfe, einer mit schmorenden Äpfeln und der andere
mit einer Suppe aus Gemüsen, die sie mühselig in Twelve Oaks und bei Maclntoshs
zu einem Mittagessen zusammengelesen hatte, das für neun Hungrige ausreichen
mußte und kaum für zwei genügte. Seit Stunden harte Scarlett sich den Hunger
verbissen und auf die Rückkehr der anderen gewartet. Der Gedanke, daß sich nun
ein Yankee über ihr karges Mahl hermachte, versetzte sie in rasende Wut. Gott
verdamm' die ganze Bande! Wie Heuschrecken waren sie über Tara hergefallen, so
daß es langsam verhungerte, und nun kehrten sie zurück und stahlen die
armseligen Überreste. Der leere Magen krampfte sich in ihr zusammen. Bei Gott,
hier war ein Yankee, der nicht mehr stehlen sollte.
    Sie rannte
barfuß in das Schreibzimmer, den entzündeten Zeh fühlte sie nicht mehr. Lautlos
öffnete sie die oberste Schublade und nahm die schwere Pistole heraus, die sie
aus Atlanta mitgebracht hatte, die Waffe, die Charles getragen, aber nie
abgefeuert hatte. Sie suchte in der Ledertasche, die unter dem Degen an der
Wand hing, und holte ein Zündhütchen heraus. Ihre Hand zitterte nicht mehr, als
sie es an seinen Platz schob. Rasch und lautlos lief sie zurück in den oberen
Flur und ging dann langsam die Treppe hinunter, mit der einen Hand stützte sie
sich am Geländer, in der anderen hielt sie, in den Falten des Rockes verborgen,
die Pistole.
    »Wer da?«
rief plötzlich eine näselnde Stimme, und mitten auf der Treppe blieb sie
stehen. Das Blut pochte ihr so laut in den Ohren, daß sie kaum die Worte
vernahm, die herauf tönten: »Stehenbleiben oder ich schieße!«
    Der Mann
stand unten an der Tür des Eßzimmers und beugte sich gespannt vornüber, die
Pistole in der einen Hand und in der anderen Ellens kleinen Nähkasten aus
Rosenholz mit dem goldenen Fingerhut, der Schere mit dem goldenen Griff und dem
kleinen Saphir-Stopfei mit der goldenen Spitze. Scarletts Beine waren eiskalt
bis zum Knie, aber die Wut brannte ihr im Gesicht. Ellens Nähkasten in seiner
Hand! Sie wollte schreien, aber ihr kamen keine Worte. Sie konnte ihn nur über
das Geländer anstarren und sehen, wie auf seinem Gesicht die Anspannung einem
halb verächtlichen, halb verbindlichen Lächeln wich.
    »Da ist
also jemand zu Hause«, sagte er, schob die Pistole in den Halfter zurück und
trat ein paar Schritte in die Halle hinein, bis er gerade unter ihr stand.
»Ganz allein, kleine Dame?«
    Wie der
Blitz schob sie die Waffe über das Geländer, zielte mitten in das entsetzte
Gesicht und zog, ehe er an seinen Gürtel fassen konnte, den Hahn. Unter dem
Rückschlag des Schusses taumelte sie, während das Getöse der Explosion ihr die
Ohren zersprengte und der Pulverdampf ihr beißend in die Nase stieg. Krachend
fiel der Mann mit einer solchen Heftigkeit hintenüber, daß die Möbel des
Eßzimmers erzitterten. Der Nähkasten fiel ihm aus der Hand, und sein Inhalt
rollte um ihn her. Scarlett lief die Treppe hinunter, ihrer eigenen Schritte
nicht achtend, und stand über ihm. Da sah sie, was von dem Gesicht oberhalb des
Bartes übriggeblieben war. Eine blutige Höhle, wo die Nase gesessen hatte, zwei
glasige, pulververbrannte Augen. Zwei Blutströme rannen über den glänzenden
Fußboden, der eine vom Gesicht, der andere vom Hinterkopf.
    Ja, er war
tot. Ohne Zweifel. Sie hatte einen Menschen umgebracht.
    Der Rauch
schlängelte sich langsam zur Decke hinauf. Die roten Rinnsale zu ihren Füßen
wurden breiter. Einen zeitlosen Augenblick stand sie da, und in der heißen
Sommerstille wuchs jeder geringste Laut und Duft ins Ungemessene, der rasche
Trommelschlag ihres Herzens, das leichte spröde Rascheln des Magnolienbaumes
draußen, der ferne Klagelaut eines Vogels, der süße Blumenduft vor dem Fenster,
der Pulvergeruch hier drinnen.
    Sie hatte
einen Menschen umgebracht, sie, die sich doch auf der Jagd immer so sorglich
davor gehütet hatte, beim Fangstoß dabeizusein, die das Schreien eines
Schweines beim Schlachten und das Gequiek eines Kaninchens in der Falle nicht
ertrug. Mord, dachte sie stumpf. Ich

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