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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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bei sich?«
    »Sicher
nicht«, versetzte Scarlett und ärgerte sich, daß sie nicht selber auf den
Gedanken gekommen war. »Du nimmst seinen Tornister, und ich durchsuche ihm die
Taschen.«
    Voller
Ekel beugte sie sich über den Toten, knöpfte ihm die Jacke auf und untersuchte
seine Taschen.
    »Du lieber
Gott«, flüsterte sie und zog eine dicke Brieftasche hervor, die mit einem
Bindfaden zugeschnürt war. »Melly, ich glaube, das ist lauter Geld!«
    Melanie
erwiderte nichts, sondern setzte sich plötzlich auf den Fußboden und lehnte
sich gegen die Wand. »Sieh nach«, sagte sie unsicher, »mir ist ein wenig
schwach.«
    Scarlett
riß den Bindfaden auf und öffnete mit bebenden Händen die Tasche. »Melly, sieh
doch!«
    Melanie
machte große Augen. Eine Unmenge von Banknoten war hier zusammengestopft.
Geldscheine der Vereinigten Staaten und konföderiertes Papiergeld bunt
durcheinander, und dazwischen glänzte ein goldenes Zehndollarstück und zwei
goldene Fünfdollarstücke.
    »Halt dich
jetzt nicht mit Zählen auf«, sagte Melanie, als Scarlett die Scheine
durchblätterte. »Wir haben keine Zeit.«
    »Melanie,
begreifst du, daß das etwas zu essen für uns bedeutet?«
    »Ja,
Liebes, ich weiß, aber wir haben jetzt keine Zeit. Sieh in den andern Taschen
nach. Ich nehme den Tornister.«
    Scarlett
legte die Brieftasche aus der Hand. Welche Aussichten! Geld von wirklichem
Wert, ein Pferd, etwas zu essen! Schließlich gab es doch einen Gott, und er sorgte
für sie, wenn auch auf sehr seltsamen Wegen. In den Hosentaschen des Toten fand
sich weiter nichts als ein Stückchen Kerze, ein Taschenmesser, Tabak und
Bindfaden. Melanie entnahm dem Tornister ein Päckchen Kaffee, an dem sie roch,
als wäre es das köstlichste Parfüm, einige Schiffszwiebacke und - ihr Gesicht
veränderte den Ausdruck - das Miniaturbild eines kleinen Mädchens in einem
perlenbesetzten goldenen Rahmen, eine Granatbrosche, zwei breite goldene
Armreifen mit feinen Goldkettchen, einen goldenen Fingerhut, einen kleinen
silbernen Kinderbecher, eine goldene Stickschere, einen Diamantring und ein
Paar Ohrringe mit tropfenförmigen Diamanten, die beide, wie sogar ihr ungeübtes
Auge erkannte, über einen Karat schwer sein mußten.
    »Ein Dieb«
flüsterte Melanie schaudernd. »Scarlett, das alles muß er gestohlen haben.«
    »Selbstverständlich«,
sagte Scarlett, »und er ist hergekommen, um bei uns noch mehr zu stehlen.«
    »Ich bin
froh, daß du ihn erschossen hast«, sagte Melanie mit einem harten Glanz in den
sanften Augen. »Nun aber schnell, Liebste, fort mit ihm.«
    Scarlett
beugte sich nieder, faßte den toten Mann bei den Stiefeln und zog. Es war so
schwer, und sie fühlte sich plötzlich so schwach. Wenn sie ihn nicht von der
Stelle bewegen konnte? Sie stellte sich mit dem Rücken gegen die Leiche, nahm
unter jeden Arm einen der schweren Stiefel und legte sich mit ihrem vollen
Körpergewicht nach vorn. Er regte sich vom Fleck, und wieder zog sie. Ihr
wunder Fuß, den sie schon ganz vergessen hatte, tat ihr auf einmal so weh, daß
sie mit den Zähnen knirschte und ihr ganzes Gewicht auf die Ferse hinüberschob.
Mit aller Anstrengung zog sie von neuem an, der Schweiß tropfte ihr von der
Stirn, und so ging es weiter durch den Flur - ein roter Streifen Blutes
bezeichnete ihren Weg.
    »Wenn er
draußen auch blutet, können wir es den andern nicht verheimlichen«, keuchte
sie. »Gib mir dein Hemd, ich binde es ihm um den Kopf.«
    Melanies
bleiches Gesicht wurde dunkelrot.
    »Sei nicht
albern, ich sehe dich nicht an«, zischte Scarlett.
    Melanie
zog sich das zerlumpte Kleidungsstück über den Kopf, warf es schweigend
Scarlett zu und bedeckte sich mit den Armen, so gut sie konnte.
    »Gottlob,
daß ich nicht so schamhaft bin«, dachte Scarlett, als sie Melanies tödliche
Verlegenheit mehr spürte als sah, während sie das zerlumpte Hemd über das
zerschmetterte Gesicht band. Dann humpelte und zerrte sie weiter, bis die
Leiche an der Hintertür lag, dort blieb sie stehen, wischte sich mit dem
Handrücken über die Stirn und blickte zu Melanie zurück, die an der Wand
kauerte und die mageren Knie gegen die entblößte Brust schmiegte. »Wie albern
von Melanie«, dachte Scarlett gereizt, »in einem solchen Augenblick!« Aber dann
schämte sie sich selber. Schließlich war doch Melanie in all ihrer Krankheit
und Schwäche mit blanker Waffe ihr zu Hilfe gekommen. Dazu brauchte man einen
Mut, den Scarlett selber, wie sie sich ehrlich gestand, nicht hatte,

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