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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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sind nur noch sehr schwach«, antwortete
Scarlett. Sie sah, wie die gefürchtete Frage der alten Dame auf den Lippen
schwebte, und suchte hastig nach einem anderen Gesprächsstoff.
    »Könnten -
könnten Sie uns wohl etwas zu essen leihen? Die Yankees haben uns leergefressen
wie ein Heuschreckenschwarm. Wenn Sie aber selber knapp sind, sagen Sie es
offen.«
    »Schicken
Sie Pork mit einem Wagen herüber, und Sie sollen die Hälfte von dem bekommen,
was wir haben, Reis, Mehl, Schinken und Hühner«, sagte die alte Dame. Plötzlich
blickte sie Scarlett scharf in die Augen.
    »Ach, das
ist zuviel«, widersprach Scarlett.
    »Still,
kein Wort. Ich will nichts davon hören. Wozu sind wir denn Nachbarn?«
    »Sie sind
so gütig ... aber ich muß weiter. Zu Hause machen sie sich Sorge um mich.« Mit
einem Ruck stand Großmama auf und nahm Scarlett beim Arm. »Ihr beiden bleibt
hier«, kommandierte sie und schob Scarlett zur Hintertür. »Ich muß das Kind
unter vier Augen sprechen. Helfen Sie mir die Treppe hinunter, Scarlett.«
    Die junge
Miß und Sally nahmen Abschied und versprachen, Tara bald zu besuchen. Sie
brannten vor Neugier, was Großmama Scarlett wohl zu sagen hätte. Von der alten
Dame selber würden sie es nie erfahren.
    Scarlett
hatte die Hand am Zügel des Pferdes. Das Herz war ihr schwer.
    »Nun?«
Großmama sah ihr scharf ins Auge. »Was ist auf Tara los? Was verschweigen Sie
mir?«
    Scarlett
schaute in die klaren alten Augen und erkannte, daß sie hier ohne Tränen die
Wahrheit sagen konnte. In Gegenwart von Großmama Fontaine weinte niemand ohne
ihre ausdrückliche Erlaubnis.
    »Mutter
ist tot«, sagte sie.
    Die Hand,
die ihren Arm hielt, packte mit schmerzhafter Festigkeit zu, und unter den
runzligen Lidern aus den gelben Augen der alten Dame blinkte es feucht.
    »Haben die
Yankees sie totgeschlagen?«
    »Sie ist
am Typhus gestorben - am Tage, ehe ich heimkam.«
    »Denk
nicht daran«, sagte Großmama streng. Scarlett sah, wie sie schluckte. »Und Ihr
Pa?«
    »Pa ist
... nicht mehr er selbst.«
    »Was wollen Sie damit sagen?
Heraus damit! Ist er krank?«
    »Der Schreck ... er ist so
seltsam.«
    »Meinen Sie damit, sein Geist ist
gestört?«
    Es war für
Scarlett eine Erleichterung, die Wahrheit so unumwunden aussprechen zu hören.
Wie gut war es von der alten Dame, kein Mitgefühl zu zeigen. Das hätte sie zum
Weinen gebracht.
    »Ja, er
hat den Verstand verloren«, sagte sie dumpf. »Er ist nicht ganz bei sich, und
manchmal kann er sich nicht erinnern, daß Mutter tot ist Ach, Frau Fontaine, es
geht über meine Kraft, ihn stundenlang dasitzen und auf sie warten zu sehen,
und früher war er doch ungeduldig wie ein Kind. Aber noch schlimmer ist es,
wenn ihm wieder einfällt, daß sie nicht mehr da ist. Ab und zu springt er
plötzlich auf und läuft aus dem Haus nach dem Friedhof hinüber. Dann kommt er
zurückgeschlichen, ganz in Tränen, und sagt immer wieder, bis ich schreien
könnte: >Katie Scarlett, Mrs. O'Hara ist tot, deine Mutter ist tot.<.
Dann ist es immer, als hörte ich es zum erstenmal. Manchmal höre ich ihn auch
spät in der Nacht nach ihr rufen, dann stehe ich auf und gehe zu ihm und sage
ihm, sie sei zu einem kranken Schwarzen hinübergegangen, und dann beschwert er
sich darüber, daß sie sich immer mit der Krankenpflege so abplage. Es ist immer
so schwer, ihn wieder ins Bett zu bekommen. Ach, ich wollte, Dr. Fontaine wäre
hier, er könnte sicher etwas für ihn tun! Und auch Melanie braucht einen Arzt.
Sie erholt sich nicht von ihrem Kind.«
    »Melly ... ein Kind? Und sie ist
bei Ihnen?«
    »Ja.«
    »Aber
warum ist sie nicht in Macon bei ihrer Tante? Ich dachte gar nicht, daß Sie sie
so besonders gern hätten, Scarlett, obwohl sie Charles' Schwester ist. Erzählen
Sie mir alles.«
    »Das ist
eine lange Geschichte, Frau Fontaine. Wollen Sie nicht wieder hineingehen und
sich setzen?«
    »Ich kann stehen«, sagte Großmama
kurz, »reden Sie.«
    Zaudernd
begann Scarlett von der Belagerung Atlantas und von Melanies Zustand zu
berichten. Aber als sie unter den scharfen alten Augen, die sie unverwandt
anschauten, fortfuhr, fand sie für alles, was geschehen war, klare,
schreckensvolle Worte. Alles kehrte ihr wieder ins Gedächtnis zurück, der elend
heiße Tag, da das Kind geboren wurde, die Todesangst, die Flucht und Rhetts
treuloses Verschwinden. Sie erzählte von der schaurigen Finsternis der Nacht,
von den flammenden Lagerfeuern, die Freund oder Feind bedeuten konnten, den
einsam ragenden

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