Margaret Mitchell
vergessenen Sohn mit
seinen weitaufgerissenen, erschreckten Augen hocken. Er brachte keinen Ton
heraus, in seiner Kehle bewegte es sich nur stumm.
»Steh auf,
Wade Hampton!« befahl sie. »Steh auf und geh. Mutter kann dich jetzt nicht
tragen.« Wie ein aufgescheuchtes kleines Tier lief er auf sie zu und begrub
sein Gesicht in ihrem Rock. Sie fühlte die kleinen Hände durch die Falten nach
ihren Beinen greifen. Sie ging die Treppe hinunter, bei jedem Schritt
behindert, und sagte wütend: »Laß mich los, Wade!« Aber das Kind umklammerte
sie nur immer noch fester.
Als sie
auf dem Treppenabsatz anlangte, war ihr bewußt, daß sie nun all dies zum
letztenmal sah und daß sie von allem Abschied nehmen mußte. Alles würden die
Yankees in Brand stecken. Bald würde sie von fern die Flammen zum Dach
herausschlagen und die hohen Schornsteine in Rauch gehüllt sehen.
Die Zähne
klapperten ihr vor Angst. »Ich kann dich nicht verlassen«, sagte sie vor sich
hin. »Pa wollte dich auch nicht verlassen. Er hat gesagt, sie sollten dich über
seinem Kopf anzünden, nun sollen sie dich über meinem Kopf anzünden, denn auch
ich kann dich nicht verlassen. Außer dir habe ich nichts.«
Bei diesem
Entschluß wich die ärgste Angst von ihr, und nur ein eisiges Gefühl, als wäre
alle Hoffnung und alle Furcht in ihr erfroren, blieb ihr in der Brust zurück.
Als sie so dastand, hörte sie von der Auffahrt her den Hufschlag vieler Pferde,
den Lärm der Geschirre und das Rasseln der Säbel in den Scheiden, und eine
rauhe Befehlsstimme rief: »Absitzen!«
Rasch
wandte sie sich zu dem Kind an ihrer Seite herunter. Ihre Stimme klang
dringend, aber merkwürdig sanft:
»Laß mich
los, Wade, mein Liebling. Du läufst nun schnell die Treppe hinunter und durch
den Hintergarten zum Wald am Fluß hinunter. Da sind Mammy und Tante Melly. Lauf
schnell, mein Liebling, und sei nicht bange!«
Als der
Junge sie in diesem Ton sprechen hörte, blickte er empor, und Scarlett
schauderte bei dem Ausdruck seiner Augen. Er sah sie an wie ein kleines
Kaninchen, das sich in der Falle gefangen hat.
»Ach,
Mutter Gottes«, betete sie, »laß ihn keine Krämpfe bekommen. Nicht vor den
Yankees. Sie dürfen nicht wissen, daß wir Angst haben.« Und als das Kind ihren
Rock immer noch fester packte, sagte sie mit klarer Stimme: »Sei ein kleiner
Mann. Das ist ja nur eine verfluchte Yankeebande.«
Sie ging
die Treppe hinunter ihnen entgegen.
Sherman
kam auf seinem Marsch von Atlanta, das in einen rauchenden Trümmerhaufen
verwandelt war, nach der Küste quer durch Georgia.
Vor ihm
lag ein Gebiet von dreihundert Meilen so gut wie unverteidigt. In einer Breite
von achtzig Meilen zog seine Armee sengend und brennend hindurch, und als
Scarlett die Blauröcke in die Halle hereindrängen sah, dachte sie nicht daran,
daß das ganze Land das gleiche Schicksal erlitt, sondern ihr war, als gelte der
haßerfüllte Überfall allein ihrer Person.
Sie stand
am Fuße der Treppe, das Kleine auf dem Arm und Wade, mit dem Kopf in ihren
Rockfalten, eng an sich gepreßt, als die Yankees ins Haus stürmten, sie zur
Seite stießen und die Treppe hinaufpolterten. Sie zerrten Möbel in die vordere
Veranda, stießen Messer und Bajonette in die Polster und suchten nach
versteckten Kostbarkeiten. Oben schüttelten sie zerbrochene Matratzen und
Federbetten aus, bis der ganze Flur von Federn wimmelte. Ohnmächtige Wut
erstickte die Furcht in Scarletts Herzen, als sie hilflos dastand und zusehen
mußte, während die Soldaten plünderten, raubten und zerstörten.
Der
Wachtmeister, ein krummbeiniges, grauhaariges Männchen mit einem großen Priem
in der Backe, spuckte vor Scarlett auf den Boden und sagte: »Geben Sie her, was
Sie da in der Hand haben, Madam!«
Sie hatte
die Schmucksachen, die sie hatte verstecken wollen, vergessen. Mit einem
höhnischen Lächeln schleuderte sie die Sachen zu Boden und hatte fast ihre
Freude an der raubgierigen Balgerei, die nun einsetzte.
»Ich muß
Sie noch um den Ring da und um die Ohrringe bemühen.«
Scarlett
schob sich das Baby noch fester unter den Arm, so daß es hochrot und schreiend
mit dem Gesicht nach unten hing, und nahm sich die Granatohrringe ab, die
Gerald Ellen zur Hochzeit geschenkt hatte. Dann zog sie sich den großen Saphir,
Charles' Verlobungsring, vom Finger.
»Nicht
hinschmeißen, hergeben«, sagte der Wachtmeister und streckte die Hände aus.
»Die Kerls da haben nun genug. Was haben Sie sonst noch?« Mit scharfen
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