Margaret Mitchell
Augen
musterte er ihre Gestalt.
Einen
Augenblick schwindelte Scarlett. Schon fühlte sie rauhe Hände in ihre Brust
greifen oder sich an ihren Strumpfbändern zu schaffen machen. »Mehr habe ich
nicht, aber es ist wohl bei Ihnen Sitte, Ihre Opfer auszuziehen?«
»Oh, ich
glaube Ihnen schon«, sagte der Wachtmeister gutmütig, spuckte abermals auf den
Boden und wandte sich ab. Scarlett legte das Baby zurecht und suchte es zu
beruhigen. Sie fühlte mit der Hand das Versteck der Brieftasche und dankte
Gott, daß Melanie ein Kind und das Kind ein Windeltuch hatte.
Oben
vernahm sie schwere Schritte und das Schurren der Möbel, die über den Fußboden
gerückt wurden, das Klirren von zerschmettertem Porzellan und von Spiegeln, das
Fluchen, wenn nichts Wertvolles zum Vorschein kam.
Vom Hof
erschollen laute Rufe: »Schlag ihnen den Kopf ab, laß keins entwischen!« und
dazu das verzweifelte Gackern der Hennen und das Geschnatter der Enten und
Gänse.
Es schnitt
ihr durchs Herz, als sie ein lautes Grunzen hörte, das auf einen Pistolenschuß
hin verstummte. Die Sau war tot. Die verwünschte Prissy war fortgelaufen und
hatte die Sau im Stich gelassen. Wenn nur die Ferkel in Sicherheit waren! Wenn
nur die Familie heil im Wald ankam! Aber das konnte sie jetzt nicht in
Erfahrung bringen. Ruhig stand sie inmitten des schreienden und fluchenden
Soldatengetümmels, mitten im Flur. Wades Finger klammerten sich entsetzt an
ihren Rock. Sie fühlte, wie er am ganzen Leibe zitterte, als er sich an sie
schmiegte, aber sie brachte es nicht fertig, zu ihm zu sprechen. Auch gegen die
Yankees brachte sie kein Wort hervor, keine Bitte, keinen Einspruch und kein
Schimpfwort. Sie konnte nur Gott dafür danken, daß ihre Knie noch die Kraft hatten,
sie zu tragen, und ihr Hals noch den Kopf aufrecht hielt. Als aber eine Gruppe
bärtiger Männer die Treppe herunterkam, beladen mit allerhand Beute, und sie
darunter Charles' Degen sah, schrie sie auf.
Der Degen
gehörte Wade! Sein Vater und sein Großvater hatten ihn getragen, und Scarlett
hatte ihn dem Kleinen zu seinem letzten Geburtstag geschenkt. Es war sehr
feierlich dabei zugegangen, und Melanie hatte Tränen des Stolzes und der
kummervollen Erinnerung vergossen, hatte den Knaben geküßt und gesagt, er müsse
auch ein tapferer Soldat werden wie sein Vater und sein Großvater. Wade war
sehr stolz auf den Degen und kletterte oft auf den Tisch, über dem er hing, um
ihn zu streicheln. Ihr eigenes Besitztum in verhaßten fremden Händen aus dem
Hause wandern zu sehen, konnte Scarlett zur Not ertragen, aber das da, den
Stolz ihres kleinen Jungen - niemals! Als Wade einen Schrei hörte, spähte er
hinterm Rock hervor, schöpfte, gewaltig aufschluchzend, Mut, streckte eine Hand
aus und rief: »Meiner!«
»Den
dürfen Sie nicht mitnehmen«, sagte Scarlett und streckte ebenfalls die Hand
aus.
»So?«
sagte der kleine Soldat, der ihn in der Hand hielt, und grinste sie unverschämt
an. »Ich tue es aber doch. Der Degen hat einem Aufrührer gehört.«
»Nein, er
stammt aus dem mexikanischen Krieg. Er gehört meinem kleinen Jungen. Es ist der
Degen seines Großvaters. Ach, Herr Hauptmann«, sie wandte sich an den
Wachtmeister, »bitte, lassen Sie mir den Degen.«
Der
Wachtmeister, über seine Beförderung geschmeichelt, trat hinzu. »Zeig mal her,
Mann«, sagte er.
Widerstrebend
gab der kleine Soldat den Degen her. »Das Heft ist aus massivem Gold«, sagte
er.
Der
Wachtmeister drehte den Degen in der Hand und hielt das Heft in die Sonne, um
die Inschrift zu lesen. »Dem Obersten William R. Hamilton«, entzifferte er,
»Von seinem Stabe. Für Tapferkeit, Buena Vista 1847.«
»Hallo,
Madam«, sagte er, »bei Buena Vista war ich auch mit. Da ging es heiß her, das
kann ich Ihnen sagen. So hitzig habe ich es in diesem Krieg noch nicht erlebt.
Der Degen gehört also dem Großvater des kleinen Mannes hier? Nun, meinetwegen
soll er ihn behalten.«
»Aber er
hat doch ein massiv goldenes Heft«, beharrte der Soldat.
»Das
wollen wir ihr zum Andenken an uns hierlassen«, grinste der Wachtmeister.
Scarlett
nahm den Degen an sich und sagte nicht einmal »Danke«. Sollte sie sich etwa
noch bei den Dieben bedanken, wenn sie ihr ihr Eigentum zurückgaben? Sie hielt
den Degen an sich gepreßt, während der Soldat mit seinem Wachtmeister noch
darüber hin und her stritt.
»Bei Gott,
diese verdammten Rebellen sollen einen Denkzettel von mir bekommen!« rief der
schließlich wütend und machte sich in den
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