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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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das Schwarzsauer«, lächelte Scarlett. »Ja, ich wittere auch schon
frisches Schweinefleisch. Wenn das Wetter sich noch ein paar Tage hält ... «
    Melanie,
den Löffel an den Lippen, unterbrach sie: »Horch! Es kommt jemand.«
    Durch die
klare Herbstluft tönte deutlich Hufschlag, so rasch wie ein erschrockenes Herz,
und eine hohe Frauenstimme schrie: »Scarlett, Scarlett!«
    Sie sahen
einander erschreckt in die Augen, die Stühle flogen zurück, alle sprangen auf.
Die Stimme, schrill vor Angst, gehörte Sally Fontaine, die erst vor einer
Stunde ein kurzes Weilchen auf dem Wege nach Jonesboro in Tara verschwatzt
hatte. Als sie alle durcheinander an die Haustür stürzten, kam Sally auch schon
auf ihrem schaumbedeckten Pferd mit fliegenden Haaren und herabhängendem Hut
wie ein Sturmwind die Einfahrt heraufgaloppiert. Mit losen Zügeln sprengte sie
wie toll auf die Verandastufen los und wies mit dem Arm in die Richtung zurück,
die sie gekommen war.
    »Die
Yankees kommen! Ich hab' sie gesehenI Unten an der Straße! Die Yankees!«
    Unmittelbar
vor der Haustür erst riß sie das Pferd hart herum, war in drei Sätzen über den
Rasen und nahm die hohe Hecke, als wäre sie auf einem Jagdgelände. Sie hörten
den schweren Hufschlag des Pferdes durch den Hintergarten und die schmale Gasse
zwischen den Negerhütten. Dann verschwand sie querfeldein nach Mimosa.
    Einen
Augenblick blieben alle wie gelähmt. Suellen und Carreen fingen an zu
schluchzen und die Hände zu ringen. Der kleine Wade stand wie angewurzelt, am
ganzen Leibe zitternd und unfähig zu weinen. Was er seit der Flucht aus Atlanta
gefürchtet hatte, sollte nun geschehen. Die Yankees kamen und wollten ihn
holen.
    »Die
Yankees?« sagte Gerald wie im Traum. »Aber die Yankees waren doch schon hier?«
    Scarlett
schaute Melanie in die erschrockenen Augen. Wie der Blitz durchzogen die
Schrecknisse der letzten Nacht in Atlanta ihr Gedächtnis. Sie sah den Yankee,
den sie erschossen hatte, mit Ellens Nähkasten in der Halle auf der Türschwelle
stehen und dachte: Ich sterbe, ich halte es nicht mehr aus. Dann fiel ihr Blick
auf das gesattelte Pferd, das angebunden auf Pork wartete, der gerade zu
Tarletons hatte hinüberreiten sollen. Ihr Pferd, ihr einziges Pferd! Das nahmen
nun die Yankees, und sie nahmen die Kuh und das Kalb, und die Sau und die
Ferkel, und den Hahn, die Küken und die Enten, die Fontaines ihr geschenkt
hatten, und die Äpfel und die Bataten aus der Kiste in der Speisekammer, und
das Mehl, und den Reis, und die getrockneten Erbsen, und obendrein das Geld aus
der Brieftasche des Marodeurs. Alles würden sie ihnen nun wegnehmen und sie
verhungern lassen.
    »Sie
sollen es nicht haben!« schrie sie laut. Alle starrten sie entsetzt an und
meinten, die Nachricht habe ihr den Verstand geraubt.
    »Sie
sollen es nicht haben. Ich will nicht verhungern! Ich lasse es nicht zu!«
    Sie wandte
sich zu den vier Negern, die mit einem merkwürdigen aschfahlen Ton in ihrer
Haut hinter der Tür hockten. »In den Waldsumpf!« schrie sie hastig.
    »In den
Waldsumpf?«
    »Ja, in
den Waldsumpf unten am Fluß, ihr Esel! Flink, treibt die Schweine dorthin, alle
zusammen! - Pork, du und Prissy, ihr kriecht in den Verschlag unter der
hinteren Veranda und holt die Schweine heraus. Suellen und Carreen, ihr füllt
die Körbe mit so viel Nahrungsmitteln, wie hineingehen, und lauft dann in den
Wald. Mammy, du versenkst das Silber wieder in den Brunnen. Und Pork, hör zu:
Nimm Pa mit. Frag mich nicht! Irgendwohin! Geh mit Pork, Pa, sei lieb, geh mit
Pork!«
    In all
ihrem Schrecken dachte sie daran, was der Anblick der Blauröcke Geralds
schwankendem Geist antun könnte. Sie hielt inne und rang verzweifelt die Hände.
Das angstvolle Schluchzen des kleinen Wade, der sich an Melanies Rock
klammerte, brachte sie zur Verzweiflung.
    »Und was
soll ich tun, Scarlett?« Melanies Stimme klang ganz ruhig zwischen all dem
Jammern und den Tränen. Obwohl ihr Gesicht weiß wie Papier war und sie am
ganzen Körper bebte, beruhigte doch ihre unerschütterte Stimme Scarlett und
zeigte, daß es auf ihre Geistesgegenwart allein ankam.
    »Die Kuh
und das Kalb«, sagte sie schnell. »Sie sind auf der Wiese. Nimm das Pferd und
treibe sie zum Fluß ... «
    Noch ehe
sie zu Ende gesprochen hatte, schüttelte Melanie Wade ab, stürzte die Treppe
hinunter, raffte die weiten Röcke zusammen und lief auf das Pferd zu. Einen
Augenblick sah Scarlett ein flüchtiges Durcheinander von mageren Beinen

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