Margaret Mitchell
stellen, und alle miteinander schluckten gehorsam, was sie zu
schlucken bekamen, und schnitten ihre Grimasse dazu. Vielleicht dachten sie
dabei an ein anderes strenges schwarzes Gesicht in einem weit entfernten
Heimatort und an eine andere schwarze Hand, die ihnen unerbittlich den
Arzneilöffel gereicht hatte.
Wenn es
aber galt, die verwahrlosten Gäste ins Haus hineinzulassen, war Mammy nicht zu
erweichen. Sie befahl sie alle ausnahmslos hinter ein dichtes Gebüsch, nahm
ihnen die Uniform ab, gab ihnen einen Trog mit Wasser und scharfe grüne Seife
zum Waschen und versah sie schließlich mit Tüchern, womit sie ihre Blöße
bedecken konnten, während sie ihre Kleidungsstücke in einem riesigen
Waschkessel kochte. Mochten die Mädchen auch einwenden, daß ein solches
Verfahren beschämend für die Krieger wäre - Mammy entgegnete, daß es viel
beschämender für die Mädchen wäre, selber Läuse zu bekommen.
Als nach
und nach fast täglich Soldaten kamen, erlaubte Mammy ihnen nicht mehr, in den
Schlafzimmern zu übernachten. Scarlett gab allen Widerstand auf und richtete
den Salon mit seinem dicken Plüschteppich als Schlafsaal ein. Auch hierüber
jammerte Mammy laut, aber Scarlett blieb fest. Irgendwo mußten die Leute doch
schlafen. So kam es, daß in den Monaten nach Kriegsende der dicke weiche Plüsch
sich abzunutzen begann und schließlich das Grundgewebe zum Vorschein kam.
Jeden
Soldaten fragten sie eindringlich nach Ashley, und Suellen erkundigte sich
selbstgefällig nach Mr. Kennedy, aber kein Soldat hatte von ihnen gehört oder
zeigte Lust, über Vermißte zu sprechen. Genug, daß man selbst noch am Leben
war; an die Tausende, die nicht nach Hause kamen, mochte man gar nicht denken.
Nach jeder
solchen Enttäuschung suchte die Familie Melanie neuen Mut zu machen. Ashley
konnte nicht im Gefangenenlager gestorben sein, sonst hätte ein Kaplan der
Yankees es ihnen geschrieben. Er würde eines Tages nach Hause kommen, aber das
Gefangenenlager lag so endlos weit entfernt Man brauchte mehrere Tage dazu, die
Reise mit der Eisenbahn zu machen, und wenn nun Ashley zu Fuß kam, wie alle die
Leute hier ... Aber warum hatte er dann nicht geschrieben? Ja, die Post war so
unsicher und unzuverlässig, selbst da, wo der regelmäßige Dienst wieder
eingerichtet war. Aber wenn er nun auf dem Heimweg gestorben war? Nun, dann
hätte irgendeine Yankeefrau sicher geschrieben. Taten Yankeefrauen das? Ja
doch, Melly, es gibt sicher auch gute Yankeefrauen. Ach, Gott konnte doch nicht
ein ganzes Volk erschaffen ohne ein paar gute Frauen darin. So ging es zwischen
Furcht und Hoffnung hin und her.
Eines
Nachmittags im Juni, als alle vor der Hintertür versammelt waren und Pork beim
Zerschneiden einer halbreifen Wassermelone zuschauten, erklang Hufschlag auf
dem Kies der vorderen Einfahrt. Prissy machte sich träge auf, während die
Zurückbleibenden darüber zu streiten begannen, ob sie die Wassermelone
verstecken oder mit dem Gast teilen sollten. Melly und Carreen waren fürs
Teilen, aber Scarlett, von Suellen und Mammy unterstützt, zischte Pork zu, er
solle die Frucht eiligst verstecken. Während Pork noch unschlüssig über das
Schicksal des Leckerbissens dastand, hörten sie Prissy aufkreischen. Mit einem
Satz sprang Scarlett die Stufen hinauf und rannte durch den Flur, und alle
anderen folgten ihr nach.
»Onkel
Peter ist da! Miß Pittypats Onkel Peter!«
Alle sahen
zu, wie der graue alte Despot aus Tante Pittys Hause von einem rattenschwänzigen
Klepper, auf den ein ganzer Packen Decken geschnallt war, herunterkletterte.
Auf seinem breiten schwarzen Gesicht lag die gewohnte Würde im Kampf mit der
Freude über das Wiedersehen, und das Ergebnis war, daß seine Stirn sich
runzelte, aber der Mund ihm offenhing wie einem beglückten, zahnlosen alten
Hunde. Schwarz und Weiß schüttelte ihm die Hand und fragte ihn aus, aber Mellys
Stimme erhob sich über alle anderen: »Tantchen ist doch nicht krank?«
»Nein,
Missis, es geht ihr mäßig, Gott sei Dank.« Peter sah zuerst Melly und dann
Scarlett strenge an, und beide fühlten sich auf einmal sehr schuldig, ohne zu
wissen, warum. »Es geht ihr einigermaßen, aber sie ist mit euch jungen Misses
ganz und gar auseinander, und wenn ich es recht bedenke, ich bin es auch!«
»Aber,
Onkel Peter, was um Himmels willen ... «
»Sie
brauchen sich gar nicht erst alle viel zu entschuldigen. Hat nicht Miß Pitty
geschrieben und geschrieben, Sie sollen nach Hause kommen? Habe ich sie
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