Margaret Mitchell
Weichheit von ihr genommen. Um ihr Wesen hatte sich
eine harte Schale gebildet, die in den endlosen Monaten nach und nach, Schicht
um Schicht, immer undurchdringlicher geworden war.
Aber bis
heute hatte zweierlei Hoffnung sie aufrechtgehalten. Sie hatte gehofft, daß
nach dem Ende des Krieges das Leben allmählich in seine alten Bahnen
zurückgleiten würde, und gehofft, daß Ashleys Heimkehr dem Leben wieder einen
Sinn geben könnte. Beides war nicht in Erfüllung gegangen. Der Anblick von
Jonas Wilkerson in der Einfahrt von Tara hatte ihr klargemacht, daß für sie und
den ganzen Süden der Krieg nie zu Ende ging. Der bitterste Kampf, die
grausamste Vergeltung, fing jetzt erst an. Und Ashley hatte sich durch Worte gebunden,
die stärker waren als alle Fesseln.
Der Friede
und Ashley hatten Scarlett gleichermaßen enttäuscht, und nun hatte sich die
letzte Ritze in der Schale geschlossen, die äußerste Schicht war hart geworden.
Jetzt war Scarlett zu dem geworden, wovor Großmama Fontaine sie gewarnt hatte,
zu einer Frau, die das Schlimmste erlebt und nichts mehr zu fürchten hat. Weder
das Leben, noch die Mutter, noch verlorene Liebe, noch die Meinung der Leute
fürchtete sie mehr. Nur den Hunger, das Elend und das Schicksal von Tara.
Eine
seltsame Leichtigkeit und Freiheit erfüllte sie, da sie nun ihr Herz endgültig
gegen alles verhärtet hatte, was sie an die alte Zeit und an die alte Scarlett
band. Sie hatte ihre Entscheidung gefällt und verspürte keine Angst mehr. Sie
hatte nichts zu verlieren.
Wenn es
ihr nun gelang, Rhett in eine Ehe mit ihr hineinzuschmeicheln, so war alles
gut. Gelang es nicht ... nun, dann mußte sie trotzdem zu dem Gelde kommen.
Einen Augenblick überlegte sie mit kalter Neugierde und ohne Beziehung auf sich
selbst, was wohl von einer Geliebten erwartet wurde. Ob Rhett wohl darauf
bestand, sie in Atlanta zu haben, wie es hieß, daß er die Watling dort halte?
Wenn er von ihr verlangte, daß sie in Atlanta wohnen blieb, so mußte er tüchtig
zahlen - genug, um sie für alles zu entschädigen, was eine Trennung von Tara
ihr bedeutete. Scarlett hatte wenig Ahnung von den verborgenen Seiten des
Männerlebens und hatte nicht die Möglichkeit zu erfahren, was ein solches
Verhältnis alles mit sich brachte. Ob sie ein Kind bekommen würde? Das wäre
fürchterlich.
»Daran
will ich jetzt nicht denken. Darüber denke ich später nach.« Damit schob sie
den unwillkommenen Gedanken von sich, damit er sie in ihrem Entschluß nicht
beirre. Heute noch wollte sie der Familie mitteilen, daß sie nach Atlanta
ginge, um Geld aufzutreiben und wenn nötig eine Hypothek auf das Gut zu
beschaffen. Mehr brauchten die andern fürs erste nicht zu wissen. Bis das
Unglück es eines Tages fügen würde, daß sie hinter die Wahrheit kamen.
Als sie
nun alles wußte, was sie zu tun hatte, richtete sich ihr Kopf auf, und ihre
Schultern strafften sich. Leicht würde es nicht sein. Früher hatte Rhett um
ihre Gunst geworben, hatte sie ihn in der Gewalt gehabt. Jetzt war sie die
Bittstellerin und nicht mehr in der Lage, Bedingungen zu stellen.
»Aber ich
gehe nicht wie eine Bittstellerin zu ihm, sondern wie eine Königin, die ihre
Gunst gewährt. Er soll nicht erfahren, wie es sich in Wirklichkeit verhält.«
Sie trat
vor den langen Spiegel und blickte erhobenen Hauptes hinein.
In dem
rissigen vergoldeten Stuckrahmen sah sie eine Fremde vor sich. Es war, als sähe
sie sich seit einem Jahr zum ersten Male wieder. Jeden Morgen hatte sie
flüchtig in den Spiegel geschaut, ob ihr Gesicht sauber und ihr Haar in Ordnung
wäre, aber immer viel zu hastig, um sich wirklich zu betrachten. Und nun diese
Fremde! Diese hagere, hohlwangige Frau konnte doch nicht Scarlett O'Hara sein!
Scarlett O'Hara war ein hübsches, kokettes, pikantes Geschöpf. Das Gesicht, das
sie dort anstarrte, war durchaus nicht hübsch und wies nichts von dem Zauber
mehr auf, an den sie sich so gut erinnerte. Es war bleich und abgespannt, die
schwarzen Brauen über den schrägen grünen Augen fuhren auf der weißen Haut
gleich Flügeln aufgescheuchter Vögel erschreckend in die Höhe. Ein harter,
abgehetzter Ausdruck lag in ihren Mienen.
»Ich bin
nicht hübsch genug, um ihn zu fangen!« dachte sie und verfiel in neue
Mutlosigkeit. »Ich bin ja so mager, so furchtbar mager!«
Sie rieb
sich die Wangen und tastete angstvoll nach dem hervorstehenden Schlüsselbein.
Ihre Brust war fast so klein wie die Melanies geworden. Sie würde sich Rüschen
ins
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