Margaret Mitchell
aufdämmerte. Mit
raschem Griff riß sie Scarlett die Vorhänge aus der Hand und hielt sie gegen
ihre gewaltigen Brüste.
»Aus Miß
Ellens Portieren kriegst du aber kein neues Kleid, wenn du das etwa willst,
nicht solange noch ein Atemzug in mir ist.« Blitzschnell huschte der alte,
Mammy so wohl vertraute, eigensinnige Ausdruck über das Gesicht ihrer jungen Herrin,
und dann ging er in ein Lächeln über, dem die alte Amme nur so schwer
widerstehen konnte. Aber dieses Mal ließ sie sich nicht hinters Licht führen.
Sie war entschlossen, sich nicht überrumpeln zu lassen.
»Mammy,
sei nicht häßlich zu mir. Ich will nach Atlanta, um Geld zu borgen, und dazu
muß ich ein neues Kleid haben.«
»Du
brauchst kein neues Kleid. Andere Damen haben auch kein neues Kleid, sie tragen
ihre alten und sind stolz, und Miß Ellens Kind hat gar keinen Grund, nicht in
Lumpen zu gehen, wenn sie in Lumpen gehen will, achtet sie doch jeder, als geht
sie in Seide.«
Der
trotzige Ausdruck zeigte sich wieder. Wie sehr Miß Scarlett Master Gerald immer
ähnlicher wurde und Miß Ellen immer unähnlicher, je älter sie wurde!
»Hör mal,
Mammy, Tante Pitty hat uns doch geschrieben, daß Fanny Elsing diesen Sonnabend
heiratet, und natürlich gehe ich auf die Hochzeit Da muß ich doch ein neues
Kleid haben.«
»Das
Kleid, das du anhast, ist ebenso schön wie Miß Fannys Brautkleid. Miß Pitty hat
geschrieben, daß Elsings mächtig arm sind.«
»Und ich
muß doch ein neues Kleid haben, Mammy, du weißt ja gar nicht, wie nötig wir
Geld brauchen, die Steuern ... «
»Doch,
Missie, ich weiß alles von den Steuern, aber ... «
»So?«
»Gott hat
mir doch Ohren gegeben, um damit zu hören, besonders wenn Master Will sich nie
die Mühe macht, die Tür zuzumachen.«
Scarlett
konnte niemals begreifen, wie der gewichtige Körper, unter dem die Fußböden
erdröhnten, es fertigbrachte, zu schleichen wie ein wildes Tier, wenn seine
Besitzerin an der Tür zu horchen wünschte.
»Wenn du
alles gehört hast, hast du wohl auch Jonas Wilkerson und diese Emmie ... «
»Freilich«,
sagte Mammy mit grimmigen Augen.
»Nun, sei
kein Esel, Mammy. Siehst du denn nicht ein, daß ich nach Atlanta muß, um Geld
für die Steuern auf zutreiben? Ich muß Geld haben, ich muß!« Sie hämmerte sich
mit der kleinen Faust in die Hand. »Gott im Himmel, Mammy, sie setzen uns alle
auf die Straße, und wo sollen wir denn hin! Willst du wegen einer solchen
Kleinigkeit wie Mutters Vorhängen Streit anfangen, wenn das Pack sich in den
Kopf gesetzt hat, uns von Haus und Hof zu vertreiben und in dem Bett zu
schlafen, wo Mutter geschlafen hat?«
Wie ein
störrischer Elefant schob Mammy sich von einem Fuß auf den andern. Sie hatte
das dunkle Gefühl, überwältigt zu werden.
»Nein,
Miß, ich will kein Pack in Miß Ellens Haus haben, und ich will nicht, daß sie
uns alle auf die Straße setzen, aber ...«
Plötzlich
schaute sie Scarlett mißtrauisch ins Gesicht. »Wo willst du das Geld denn
hernehmen, daß du ein neues Kleid dazu brauchst?«
Scarlett
erschrak. »Das ist meine Sache.«
Die Alte
sah sie so durchdringend an wie früher, wenn Scarlett vergeblich versuchte,
sich mit einer glaubhaften Lüge aus der Klemme zu ziehen. Es war, als lese sie
in ihr wie in einem Buch, und schuldbewußt schlug Scarlett die Augen nieder.
»Du
brauchst also ein schickes neues Kleid, um Geld zu borgen, und du sagst mir
nicht, wo das Geld herkommen soll.«
»Ich sage
gar nichts«, entrüstete sich Scarlett. »Das geht dich gar nichts an. Willst du
mir jetzt den Vorhang geben und mir helfen oder nicht?«
»Ja,
Missie«, sagte Mammy sanft und gab so plötzlich nach, daß es Scarlett nicht
geheuer war. »Ich will dir helfen, und du mußt wohl auch einen Unterrock aus
dem Seidenfutter haben und eine Hose mit den Spitzengardinen eingefaßt.«
Sie
reichte Scarlett den Samtvorhang zurück, und ein schlaues Lächeln breitete sich
über ihr Gesicht.
»Miß Melly
geht doch mit nach Atlanta?«
»Nein«,
sagte Scarlett scharf und merkte, was kommen sollte. »Ich gehe allein.«
»Das
meinst du«, sagte Mammy fest »Aber ich gehe mit dir und mit dem neuen Kleid.
Jawohl, jeden Schritt!«
Einen
Augenblick stellte sich Scarlett ihre Fahrt nach Atlanta und ihr Zusammensein
mit Rhett unter Mammys strenger Aufsicht vor, wenn sie wie ein großer schwarzer
Drache im Hintergrund stand. Sie lächelte wieder und legte Mammy die Hand auf
den Arm.
»Liebe
gute Mammy, es ist süß von dir, daß. du
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