Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
außerdem erinnerte sie sich, von der alten Dame kürzlich einen
tränenreichen Brief über den Tod des alten Kleppers empfangen zu haben, den
Peter in Macon aufgetrieben hatte, um Pitty nach Atlanta zurückzubringen.
    Sie
blickte über den aufgewühlten, ausgefahrenen Platz um den früheren Bahnhof hin,
ob sie nicht einen Wagen alter Freunde oder Bekannter fände, der sie zu Tante
Pitty mitnehmen konnte. Aber keines der schwarzen und weißen Gesichter war ihr
vertraut. Wahrscheinlich besaß keiner ihrer alten Freunde überhaupt noch einen
Wagen. Es war schon schwierig, Menschen unterzubringen und zu beköstigen,
wieviel schwieriger noch Tiere. Die meisten von Pittys Freunden mußten, wie sie
selber, zu Fuß gehen.
    Ein paar
Lastwagen standen da, die von den Güterwagen Ladung aufnahmen, und mehrere
schmutzbespritzte Einspänner mit roh aussehenden Fremden auf dem Kutschbock,
aber nur zwei herrschaftliche Equipagen. Die eine war geschlossen, und in der
anderen, offenen saß eine gut angezogene Dame mit einem Yankeeoffizier.
Scarlett hielt den Atem an, als sie die Uniform erblickte. Obwohl Tante Pitty
geschrieben hatte, daß in Atlanta eine Garnison liege und die Straßen voll von
Soldaten seien, flößte ihr der erste Blaurock dennoch Entsetzen ein. Es war
schwer, sich zu vergegenwärtigen, daß der Krieg vorbei war und der Mann nicht
die Absicht hatte, sie zu verfolgen, zu berauben oder zu beschimpfen.
    Am Zug war
es verhältnismäßig leer, und sie entsann sich jenes Morgens im Jahre 1862, da
sie als junge Witwe, in Krepp gehüllt und außer sich vor Langeweile, in Atlanta
eingetroffen war. Wie hatten sich damals die Lastfuhrwerke und Equipagen und
die Ambulanzen hier gedrängt, was für ein Lärm von fluchenden Kutschern und von
Leuten, die laut ihre Freunde begrüßten, hatte geherrscht! Seufzend wünschte
sie sich die leichtsinnige Erregung der Kriegstage zurück und seufzte abermals
bei dem Gedanken, den ganzen Weg nach Tante Pittys Hause zu Fuß gehen zu
müssen. Hoffentlich traf sie in der Pfirsichstraße jemanden, der sie ein Stück
mitnahm.
    Als sie so
dastand und sich umschaute, fuhr ein sattelbrauner Neger von mittleren Jahren
mit dem geschlossenen Wagen zu ihr heran, beugte sich vom Bock herab und
fragte: »Wagen, meine Dame? Zwei Cents bis überall in Atlanta.«
    Mammy warf
ihm einen vernichtenden Blick zu. »Eine Mietsdroschke«, grollte sie. »Nigger,
weißt du auch, wer wir sind?«
    Mammy war
eine Negerin vom Lande, aber sie war nicht immer auf dem Lande   gewesen   und 
wußte,   daß   keine   anständige   Dame  je   ein Mietsfuhrwerk benutzte, am
wenigsten einen geschlossenen Wagen, wenn nicht ein männliches Familienmitglied
sie begleitete. Selbst die Gegenwart einer schwarzen Zofe genügte der Sitte
nicht. Sie blickte Scarlett streng an, als sie die sehnsüchtigen Blicke sah,
mit denen sie die Mietskutsche betrachtete.
    »Komm mit,
Miß Scarlett! Eine Mietsdroschke und ein freigelassener Nigger! Das ist mir
eine schöne Zusammenstellung!«
    »Ich bin
kein freigelassener Nigger«, fuhr der Kutscher hitzig dazwischen. »Ich gehören
der alten Miß Talbot, und dies hier sein ihr Wagen, und ich fahren, um Geld für
uns machen.«
    »Was für
eine Miß Talbot ist das?«
    »Miß
Suzannah Talbot aus Milledgeville. Wir sein hierhergekommen, als der alte Marse
gefallen.«
    »Kennst du
sie, Miß Scarlett?«
    »Nein«,
sagte Scarlett bedauernd. »Ich kenne so wenig Leute aus Milledgeville.«
    »Dann
gehen wir zu Fuß«, sagte Mammy unbeugsam. »Fahr weiter, Nigger.«
    Sie
ergriff die Reisetasche, die Scarletts neues Samtkleid, ihren Hut und ihr
Nachthemd enthielt, nahm das saubere bunte Kattunbündel mit ihren eigenen
Habseligkeiten unter den Arm und führte Scarlett mitten durch die nasse Asche.
Scarlett ließ es sich gefallen, obwohl sie viel lieber gefahren wäre. Aber sie
wollte keinen Streit mit Mammy heraufbeschwören. Seit dem gestrigen Nachmittag,
da sie sie bei den Samtvorhängen überrascht hatte, wiesen Mammys Augen einen
wachsamen, argwöhnischen Blick auf, der Scarlett beunruhigte. Es würde sicher
noch sehr schwer werden, sich ihrer Aufsicht zu entziehen, und sie wollte ihre
Kampfeslust nicht eher wecken, als es unbedingt notwendig war.
    Während
sie auf schmalen Seitengassen den Weg nach der Pfirsichstraße einschlugen, fiel
Scarlett von einem Entsetzen ins andere. Atlanta war vollständig verwüstet! Sie
gingen an der Stelle vorbei, wo das große Hotel gestanden hatte,

Weitere Kostenlose Bücher