Margaret Mitchell
Rhetts und
Onkel Henrys ständiger Aufenthalt - von dem eleganten Hause war nur noch ein
Teil der geschwärzten Mauern übrig. Die Speicher, die eine Viertelmeile längs
der Schienen gestanden hatten, waren nicht wieder aufgebaut worden. Ihre
rechteckigen Fundamente starrten trübselig gegen den dunklen Himmel. Ohne die
Hausmauern zu beiden Seiten und ohne das Wagendepot wirkten die Schienenstränge
nackt und bloß. Irgendwo, unkenntlich zwischen diesen Trümmern, lagen auch die
Überreste von Scarletts eigenem Speicher auf dem Grundstück, das Charles ihr
hinterlassen hatte. Onkel Henry hatte die Steuern des letzten Jahres darauf für
sie bezahlt. Das Geld mußte sie ihm gelegentlich zurückerstatten - noch eine
Sorge mehr.
Als sie in
die Pfirsichstraße einbogen, schaute sie nach Five Points hinunter. Sie stieß
einen Schreckensschrei aus. Obwohl Frank ihr erzählt hatte, daß die Stadt dem
Erdboden gleichgemacht wäre, hatte sie sich doch nie eine völlige Zerstörung
vorstellen können. In ihrem Geist stand die Stadt, die sie so gern hatte, immer
noch voll dichtgedrängter Gebäude und schöner Häuser, aber die Pfirsichstraße,
die sie jetzt erblickte, hatte so völlig ihr früheres Aussehen verloren, daß
sie ihr fremd wie eine gänzlich unbekannte Gegend vorkam. Diese schmutzige
Straße, die sie während des Krieges wohl tausendmal hinuntergefahren war, die
sie geduckten Kopfes, von Angst getrieben, entlanggeflohen war, als die
Granaten in der Luft platzten, diese Straße, die sie zum letztenmal in der
Angst und Hast des Rückzuges gesehen hatte, blickte sie jetzt so fremd an, daß
ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Obwohl in
den Jahren nach Shermans Abzug aus der brennenden Stadt und der Rückkehr der
konföderierten Truppen zahlreiche neue Gebäude entstanden waren, lagen um Five
Points herum noch viele Grundstücke voll rauchgeschwärzter Steintrümmer und
wüsten Kehrichts, bewachsen von welkem Unkraut und üppigem Ginster. Von ein
paar Gebäuden, deren sie sich erinnerte, erkannte sie mühsam die Reste,
Backsteinmauern ohne Dach, in die der trübe Tag hineinschien, scheibenlos
klaffende Fenster, einsam ragende Schornsteine. Hier und dort fiel ihr Blick
erfreut auf einen bekannten Laden, der Beschießung und Feuersbrunst teilweise
überlebt hatte und ausgeflickt worden war und an dem nun die neuen roten Steine
grell von den alten berußten Mauern abstachen. Von vielen Schaufenstern und
Büros grüßten sie bekannte Namen, aber weit häufiger waren die Namen ihr fremd,
besonders bei den vielen Schildern von Ärzten, Anwälten und Händlern. Früher
hatte sie so gut wie jeden in Atlanta gekannt, und der Anblick so vieler
fremder Namen bedrückte sie. Aber sie empfand es doch als tröstlich, daß längs
der ganzen Straße wieder neu gebaut wurde.
Dutzende
von neuen Häusern hatten sich erhoben, mehrere drei Stockwerke hoch. Überall
wurde gebaut. Als sie die Straße entlangging und sich in diesem neuen Atlanta
zurechtzufinden suchte, hörte sie überall den lustigen Klang von Hämmern und
das schnarchende Geräusch der Sägen, sah die Gerüste aufsteigen und Männer mit
Tragmulden voller Backsteine auf der Schulter die Leitern hinaufklettern.
Feuchten Auges blickte sie die geliebte Straße hinunter.
»Sie haben
dich niedergebrannt«, dachte sie, »und dem Erdboden gleichgemacht. Aber
unterkriegen läßt du dich nicht. Du wirst wieder ebenso groß und dreist
dastehen wie zuvor.«
Als sie,
mit der watschelnden Mammy hinter sich, die Pfirsichstraße entlangging, fand
sie die Fußsteige genauso voller Menschen wie mitten im Kriege, und in der
wiederauferstandenen Stadt herrschte das gleiche Hasten und Jagen, bei dem ihr
Herz vor Freude gepocht hatte, als sie zu ihrem ersten Besuch hergekommen war.
Es schienen ihr noch ebenso viele Fuhrwerke wie damals zu sein, die durch die
Schmutzlöcher rumpelten, nur fehlten die Krankenwagen der Konföderierten; noch
ebenso viele Pferde und Maultiere waren an den Stangen der hölzernen
Sonnendächer vor den Läden angebunden. Trotz des Gedränges auf dem Fußsteig
waren ihr die Gesichter so fremd wie die Namen auf den Schildern über den
Auslagen. Viele Leute waren es, roh aussehende Männer und aufgeputzte Frauen.
Die Straße wimmelte von herumlungernden Negern, die an den Mauern lehnten oder
auf dem Bordstein hockten und mit kindlicher Neugierde die Fuhrwerke
vorbeifahren sahen, als böten sie eine Zirkusvorstellung.
»Freigelassene
Nigger vom Lande«, schnob Mammy.
Weitere Kostenlose Bücher