Margaret Mitchell
»Haben in ihrem ganzen Leben noch nie einen
richtigen Wagen gesehen. Und unverschämt sehen sie aus.«
Das fand
Scarlett auch. Sie starrten ihr frech ins Gesicht, sie aber achtete dessen
nicht vor lauter Uniformen, die sie immer von neuem in Schrecken versetzten. Es
wimmelte vor Militär zu Pferde und zu Fuß und auf Armeewagen. Sie lungerten auf
den Straßen herum oder kamen aus den Bars herausgetaumelt.
»An die
gewöhne ich mich nie«, dachte sie ingrimmig und ballte die Fäuste. »Nie und
nimmermehr. - Rasch, Mammy, daß wir aus dem Gedränge kommen.«
»Gleich,
ich muß nur erst das schwarze Gesindel aus dem Weg schubsen«, antwortete Mammy
und schwang energisch ihre Reisetasche gegen einen Schwarzen, der vor ihr
herschlenderte, so daß er zur Seite springen mußte. »Die Stadt mag ich nicht,
Miß Scarlett, es sind zuviel Yankees und freigelassene Tagediebe darin.«
»Wenn wir
nur erst über Five Points hinaus sind, ist es nicht mehr so schlimm.«
Behutsam
überschritten sie die schlüpfrigen Steine, die über den Schlamm der
Decaturstraße hinüberführten, und gelangten in den ruhigeren Teil der
Pfirsichstraße. Als sie bei der Wesleykapelle anlangten, wo sie damals auf der
Suche nach Dr. Meade Atem geschöpft hatte, lachte Scarlett kurz und grimmig
auf. Sie lachte über das Entsetzen, das sie an jenem Tage gepackt hatte. Sie
hatte vor Angst völlig die Nerven verloren gehabt, und heute begriff sie nicht
mehr, daß sie solche Angst hatte ausstehen können, wie ein Kind bei einem
lauten Geräusch. Was für eine Torin war sie gewesen, als sie noch dachte,
Yankees, Feuersbrunst und Niederlage wären das Schlimmste, was ihr widerfahren
könnte. Wie geringfügig war das alles neben Ellens Tod und Geralds Umnachtung,
neben Hunger, Kälte, Mühsal und dem ewigen Alpdruck der Unsicherheit gewesen!
Wie leicht kam es ihr jetzt vor, einer Armee von Eroberern standzuhalten, wie
schwer aber, der Gefahr zu begegnen, die Tara bedrohte! Nein, vor nichts hatte
sie mehr Angst als vor der Armut.
Ein geschlossener
Wagen näherte sich, und neugierig trat Scarlett an den Kantsein, um zu sehen,
wer darin saß. Als er herankam, stieß sie fast einen Schrei aus, denn ein
brennendroter Frauenkopf unter einem eleganten Pelzhut erschien am Fenster.
Scarlett trat einen Schritt zurück, als sie einander erkannten. Es war Belle
Watling, und Scarlett konnte gerade noch sehen, wie ihre Nase sich abfällig
krauszog. Dann war sie vorüber. Seltsam, daß dies das erste bekannte Gesicht
war, dem sie begegnete.
»Wer ist
das?« fragte Mammy argwöhnisch. »Sie kannte dich, aber sie grüßte nicht.
Solches Haar habe ich noch nie im Leben gesehen, nicht einmal bei Tarletons. Es
sah aus wie gefärbt.«
»Stimmt«,
sagte Scarlett kurz und ging rascher.
»Wer ist
das mit dem gefärbten Haar, frage ich dich.«
»Sie ist
das schlechte Frauenzimmer der Stadt«, versetzte Scarlett kurz. »Ich gebe dir
mein Wort, daß ich sie nicht kenne, also halt den Mund.«
»Allmächtiger«,
hauchte Mammy, und vor leidenschaftlicher Neugier sperrte sie den Mund auf, als
sie dem Wagen nachsah. Seitdem sie vor mehr als zwanzig Jahren mit Ellen
Savannah verlassen, hatte sie kein gewerbsmäßiges schlechtes Frauenzimmer mehr
gesehen und wünschte sich inbrünstig, sie hätte sich Belle genauer betrachtet.
»Die ist
aber fein angezogen und hat einen feinen Wagen und einen feinen Kutscher«,
knurrte sie. »Ich weiß gar nicht, was dem Herrgott einfällt, daß es den
schlechten Frauenzimmern so gut geht, während die guten Menschen Hunger leiden
und barfuß laufen.«
»Der
Herrgott denkt seit Jahren nicht mehr an uns«, sagte Scarlett ingrimmig. »Nun
sage mir nicht etwa, Mutter drehe sich im Grabe um, wenn ich so etwas rede.«
Sie hätte
gern von der Höhe ihrer Tugend auf Belle Watling herabgesehen, aber das konnte
sie nicht. Wenn ihr Plan gelang, stand sie vielleicht auf einer Stufe mit Belle
und wurde von demselben Mann ausgehalten. Sie bereute ihren Entschluß nicht,
aber doch verwirrte es sie, das alles in seinem wahren Lichte zu sehen.
Sie gingen
an dem Platz vorbei, wo Meades Haus gestanden hatte. Nur ein paar verlassene
Steinstufen und ein Gartenweg, der ins Nichts hinaufführte, waren dort
übriggeblieben. Wo Whitings Haus gestanden hatte, war jetzt kahler Erdboden.
Auch die Fundamente und die Backsteinschornsteine waren fort, und Wagenspuren
verrieten, daß sie abgefahren worden waren. Das Elsingsche Haus stand noch da,
mit einem neuen Dach und
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