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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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sie
ansah. Ellen hatte Savannah und seine Erinnerungen hinter sich gelassen, und
von dem Augenblick ihrer Ankunft auf Tara an wurde Nordgeorgia ihre Heimat.
    Ihr
Vaterhaus, das sie auf immer verlassen hatte, war in seinen Umrissen schön und
fließend wie ein Frauenleib oder wie ein Schiff mit vollen Segeln gewesen: ein
blaßrosa Stuckhaus im französischen Kolonialstil, das zierlich vom Boden
aufragte, mit geschwungenen Treppen und spitzenzarten Geländern; ein
dämmeriges, üppiges Haus, freundlich und unnahbar. Mit ihm zugleich hatte sie
die ganze Kultur zurückgelassen, die dort beheimatet war, und sie fand sich in
einer so fremden Welt wieder, als hätte sie einen ganzen Erdteil durchquert.
    Nordgeorgia
war ein rauhes Land, bewohnt von einem wetterharten Volk. Auf der Hochebene, am
Fuß der Blue Ridge Mountains, wogten die rötlichen Hügel, so weit das Auge
reichte. Riesige Blöcke des granitenen Kerns traten überall daraus hervor, von
hageren Pechkiefern überragt. Für ihr Auge war das alles wild und unbändig. Es
war die Küste gewohnt, die ruhige Urwaldschönheit der Inseln mit ihrer Hülle
von weichem Moos und wucherndem Grün, den weißen Strand unter der tropischen
Sonne, den weiten Blick über das flache, sandige Land mit seinen hohen
zierlichen Palmen.
    Hier aber
war eine Gegend, die Winterfrost und Sommerhitze kannte, und die Kraft und
Tüchtigkeit der Bewohner waren ihr fremd. Freundliche Leute waren es,
großherzig und von guter Laune, aber derb und aufbrausend. Die Küstenbewohner
konnten sich wohl rühmen, all ihre Angelegenheiten, bis zu ihren Fehden und
Duellen, mit lächelnder Anmut zu betreiben; die Leute von Nordgeorgia hatten
einen Schuß Gewalttätigkeit im Blut. An der Küste schien das Leben vom Alter
gereift. Hier war alles jung, lustig, frisch und rauh. Die Leute von Savannah
waren alle aus gleichem Guß, gleich nach Anschauung und Herkommen, während es
hier ein buntes Gemisch von Typen gab. Aus den verschiedensten Gegenden waren
die Leute nach Nordgeorgia gekommen, aus anderen Teilen der Provinz, aus den
beiden Carolinas und Virginia, aus Europa und vom Norden her. Einige davon
waren, wie Gerald, von unverbrauchtem Blut, das hier sein Glück suchte, einige,
wie Ellen, Kinder alter Geschlechter, die im Vaterhaus das Leben unerträglich
gefunden und in der Ferne eine Zuflucht gesucht hatten. Viele waren ohne jeden
Grund eingewandert, das rastlose Blut ihrer Väter, der Pioniere in der Wildnis,
das in ihren Adern nicht ruhen wollte, hatte sie hergetrieben.
    All dies
Volk, das hier zusammengeströmt war, gab dem ganzen Leben eine Formlosigkeit,
die Ellen neu war und an die sie sich nie ganz gewöhnen konnte. Wie die Leute
von der Küste jeweilig handeln würden, wußte sie aus Instinkt; wie aber einer
von Nordgeorgia sich verhalten würde, war nie vorauszusagen.
    Alles in
dieser Gegend wurde durch die Flut des Gedeihens, die damals über den Süden
kam, belebt. Die ganze Welt verlangte nach Baumwolle, und der jungfräuliche
Boden der Provinz, unverbraucht und fruchtbar, wie er war, brachte sie üppig
hervor. Baumwolle war das Herzblut des Landes, Baumwollaussaat und
Baumwollernte der Pulsschlag der roten Erde. Aus den gekrümmten Furchen wuchsen
Reichtum und Hochmut. Wenn Baumwolle schon in der ersten Generation so reich
machte, wieviel reicher mußte erst die nächste werden! Die Gewißheit über den
morgigen Tag gab dem Leben einen prickelnden, hohen Schwung, und die Leute
genossen es so herzhaft, wie Ellen es nie begreifen konnte. Sie hatten Geld und
Sklaven in Hülle und Fülle und damit Zeit genug zum Spiel, und spielen taten
sie gern. Nie waren sie zu beschäftigt, um nicht um eines Jagdreitens oder
eines Pferderennens willen die Arbeit liegenzulassen, und kaum eine Woche
verging ohne Gartenfest und Tanz.
    Ellen
wollte oder konnte nie eine der Ihren werden, dazu hatte sie zuviel von sich
selbst in Savannah zurückgelassen; aber sie hatte Achtung vor ihnen und lernte
mit der Zeit das offene, gerade Wesen dieser Leute bewundern, die wenig
Hemmungen hatten und den Mann danach einschätzten, was er wirklich war. Sie
wurde die beliebteste Nachbarin in der Provinz, sie war eine gute und tüchtige
Hausfrau, eine vorzügliche Mutter, eine hingebende Gattin. Die Selbstlosigkeit
eines gebrochenen Herzens, das sie der Kirche hatte weihen wollen, widmete sie
nun dem Dienst ihres Haushalts und dem Manne, der sie ihren Erinnerungen
entrissen und der ihr nie eine Frage gestellt

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