Margaret Mitchell
Mit den jüngeren gelang es ihr; Suellen war so darauf
aus, zu gefallen, daß sie aufmerksam und willig auf die Lehren ihrer Mutter
hörte, und Carreen war schüchtern und leicht zu lenken. Aber Scarlett, ganz
Geralds Kind, fand den Weg zur vollendeten Dame nur ganz mühselig.
Zu Mammys Entrüstung
waren ihre liebsten Spielkameraden nicht ihre artigen Schwestern oder die
wohlerzogenen Wilkesschen Mädchen, sondern die Negerkinder auf der Plantage und
die Jungens aus der Nachbarschaft. Auf Bäume klettern und mit Steinen werfen
konnte sie so gut wie der Beste unter ihnen. Mammy war ganz verstört darüber,
daß Ellens Tochter sich so entfaltete, und beschwor sie häufig, »sich wie eine
kleine Dame zu benehmen«. Aber Ellen betrachtete die Sachlage mit duldsamerem
Auge, mehr auf lange Sicht. Sie wußte, daß aus Spielkameraden einstmals
Verehrer wurden, und die erste Pflicht eines Mädchens war, zu heiraten. Sie
sagte sich, daß dies alles nur die überschäumende Lebensfülle des Kindes sei
und daß es immer noch Zeit sein würde, Scarlett die Künste der Anmut und des
Liebreizes zu lehren.
Zu diesem
Zweck vereinten Ellen und Mammy ihre Bemühungen, und als Scarlett heranwuchs,
wurde sie eine gelehrige Schülerin. Viel mehr lernte sie freilich auch nicht.
Trotz einer ganzen Reihe von Erzieherinnen und einem zweijährigen Aufenthalt in
der nahe gelegenen Töchterschule zu Fayetteville blieb ihre Bildung höchst
lückenhaft, aber kein Mädchen aus der Provinz tanzte besser als sie. Sie
verstand zu lächeln, daß die Grübchen spielten, auf leichten Füßen zu gehen,
daß die weiten Krinolinenröcke einladend um sie her flogen, dem Mann ins Auge
zu sehen und sofort den Blick niederzuschlagen, als bebte sie in süßer Erregung.
Vor allem lernte sie, ihren scharfen Verstand vor den Männern hinter einem
Gesicht zu verbergen, das so sanft und harmlos dreinschauen konnte wie das
eines kleinen Kindes. Ellen und Mammy mühten sich beide ab, ihr die
Eigenschaften einzuimpfen, die aus ihr eine wahrhaft begehrenswerte Gattin
machen sollten, Ellen mit sanften Ermahnungen, Mammy mit beständigem Tadel.
»Du mußt
stiller sein, Liebling, und gesetzter«, sagte Ellen zu ihrer Tochter. »Du
darfst die Herren nicht unterbrechen, wenn sie sprechen, und wenn du es zehnmal
besser weißt als sie. Ein vorlautes Mädchen mögen die Männer nicht.«
»Eine
kleine Dame, die die Stirn runzelt und das Kinn auf wirft und sagt >ich
will< und >ich will nicht<, kriegt keinen Mann ab«, prophezeite Mammy
düster, »so eine kleine Dame soll die Augen niederschlagen und sagen >gewiß
doch< und >Sie haben ganz recht<.«
So gut sie
vermochten, lehrten sie sie alles, was eine Dame wissen sollte; Scarlett aber
begriff nur den äußeren Schein. Die Herzensanmut, aus der die äußere Form wachsen
sollte, lernte sie nie und sah auch keinen Grund ein, sie zu lernen. Der äußere
Schein genügte, die damenhaften Formen machten sie beliebt, und mehr verlangte
sie nicht. Gerald prahlte damit, daß sie in fünf Provinzen die gefeiertste
Schönheit sei, und nicht mit Unrecht. Fast alle jungen Männer aus der
Nachbarschaft und viele von weither, aus Atlanta und Savannah, hatten ihr
Heiratsanträge gemacht. Mit sechzehn Jahren sah sie, dank Mammy und Ellen,
liebreizend und fügsam aus, in Wirklichkeit aber war sie eigensinnig und eitel.
Sie hatte die leichterregbare Leidenschaftlichkeit ihres Vaters, aber von dem
selbstlosen, duldsamen Wesen ihrer Mutter nur eine dünne Politur. Das wurde
Ellen nie ganz bewußt, denn vor ihrer Mutter zeigte sie sich stets von der
besten Seite, verbarg ihre Sprunghaftigkeit, unterdrückte ihren Zorn und war so
sanft, wie sie nur konnte, denn ein vorwurfsvoller Blick der Mutter konnte sie
bis zu Tränen beschämen.
Mammy
hingegen gab sich keinen Täuschungen über sie hin und lag beständig auf der
Lauer, sie zu durchschauen. Mammy hatte ein schärferes Auge als Ellen, und
Scarlett konnte sich ihr Leben lang nicht erinnern, die alte Amme je auf die
Dauer hinters Licht geführt zu haben.
Nicht daß
die beiden liebevollen Erzieherinnen Scarletts rasches Blut, ihre Lebhaftigkeit
und ihre Reize beklagt hätten. Auf solche Züge waren die Frauen in den
Südstaaten stolz. Was ihnen Sorge machte, war das von Gerald ererbte
halsstarrige, ungestüme Wesen, und zuweilen fürchteten sie, es möge mißlingen,
diese verhängnisvollen Eigenschaften zu vertuschen, bis sie eine gute Partie
gemacht hatte. Aber Scarlett wollte heiraten, Ashley
Weitere Kostenlose Bücher