Margaret Mitchell
ihr gesagt, wie schrecklich man sie vermißt hätte und daß sie
nie wieder nach Tara zurückkehren dürfe. Die Männer hatten mit ritterlicher
Haltung vergessen, was sie vor Zeiten alles getan hatte, um ihnen das Herz zu
brechen, und die Mädchen, daß sie nichts unversucht gelassen hatte, um ihnen
die Verehrer auszuspannen. Sogar Mrs. Merriwether, Mrs. Whiting, Mrs. Meade und
andere alte Damen, die zuletzt so kühl zu ihr gewesen waren, hatten alles Trennende
vergessen und dachten nur daran, daß auch Scarlett die gemeinsame Not mit
durchlitten hatte und Tante Pittys Nichte und Charles' Witwe war. Sie küßten
sie, sprachen liebevoll und tränenreich vom Hinscheiden ihrer armen Mutter und
fragten sie nach ihrem Vater und den Schwestern aus. Alle erkundigten sich nach
Melanie und Ashley und fragten, warum nicht auch sie nach Atlanta zurückgekehrt
seien.
Bei aller
Freude über diesen Empfang spürte Scarlett doch ein leises Unbehagen über das
Aussehen ihres Samtkleides. Es fühlte sich noch immer feucht an und hatte
Flecken am Saum, obwohl Mammy und Cookie es mit dem Dampfkessel und einer
sauberen Haarbürste bearbeitet und vor dem offenen Feuer gewaltig hin und her
geschwenkt hatten. Scarlett hatte das Gefühl, alle müßten bemerken, daß es
nicht trocken war, und daraus schließen, es sei ihr einziges hübsches Kleid.
Tröstlich war nur, daß die Kleider der meisten anderen Damen noch schlimmer
aussahen. Sie waren alt und sorgsam geflickt. Ihr Kleid war das einzige neue und
nicht geflickte auf der ganzen Gesellschaft, außer Fannys Brautkleid aus weißem
Atlas.
Sie dachte
daran, was Tante Pitty ihr über die Armut Elsings erzählt hatte, und wunderte
sich, woher das Geld für das Atlaskleid, für die Erfrischungen, den
Zimmerschmuck und die Musik wohl gekommen sein mochte. Eine solche Hochzeit in
so schweren Zeiten kam Scarlett ebenso verschwenderisch vor wie die Grabsteine
der Tarletons. Die Tage waren vorüber, da das Geld zum Fenster hinausgeworfen
werden durfte. Warum hielten die Leute an den Formen der alten Zeiten fest,
wenn die alte Zeit dahin war!
Aber sie
schüttelte die Verstimmung ab. Ihr Geld war es nicht, und sie wollte sich das
Vergnügen des Abends nicht dadurch verderben, daß sie sich über die Dummheit
der anderen ärgerte.
Es stellte
sich heraus, daß sie den Bräutigam gut kannte. Es war Tommy Wellburn aus
Sparta, den sie 1863 mit einer Schulterwunde gepflegt hatte. Damals war er ein
hübscher junger Kerl von sechs Fuß Größe gewesen und hatte gerade sein
Medizinstudium aufgegeben, um bei der Reiterei einzutreten. Jetzt sah er aus
wie ein kleiner alter Mann, so gebückt ging er infolge seiner Hüftwunde, das
Gehen machte ihm einige Schwierigkeit, und er humpelte, wie Tante Pitty bemerkt
hatte, auf wenig schöne Weise. Aber er schien sich gar nichts daraus zu machen
oder es vielleicht nicht einmal recht zu wissen. Er hatte alle Hoffnungen
aufgegeben, sein Studium fortzusetzen, und arbeitete jetzt als Bauunternehmer
mit irischen Arbeitern am Bau des neuen Hotels. Scarlett wunderte sich, daß er
in seinem Zustand einen so schweren Beruf ausüben konnte, stellte aber keine
Fragen, da sie sich voll Bitterkeit vergegenwärtigte, daß eigentlich alles
möglich sei, wenn die Not es verlangte.
Tommy und
Hugh Elsing und der kleine affenähnliche Rene Picard standen um sie herum und
unterhielten sich mit ihr, während Stühle und Möbel gegen die Wand geschoben
wurden, um für den Tanz Platz zu schaffen. Hugh hatte sich, seitdem Scarlett
ihn zuletzt gesehen hatte, nicht verändert. Er war immer noch der magere,
empfindsame Junge mit der hellbraunen Haarlocke, die ihm in die Stirn hing, und
den zarten, unpraktischen Händen. Rene war seit dem Urlaub, da er Maybelle
Merriwether geheiratet hatte, ein anderer geworden. Immer noch hatte er den
gallischen Funken in den schwarzen Augen und die kreolische Lebenslust, aber
bei all seinem leichtherzigen Gelächter hatte das Gesicht doch etwas Hartes
bekommen, das früher nicht darin gewesen war, und die übertriebene Eleganz, die
ihn in seiner auffallenden Zuavenuniform ausgezeichnet hatte, war vollständig
verschwunden.
»Wangen
wie Rosen und Augen wie Smaragde!« Damit küßte er Scarlett die Hand und
huldigte dem Rouge, das sie aufgelegt hatte. »Schön wie damals, als ich Sie zum
ersten Male auf dem Basar erblickte, wissen Sie es noch? Ich habe nie
vergessen, wie Sie mir Ihren Ehering in den Korb warfen. Nie hätte ich gedacht,
daß Sie so lange
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