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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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ein papierdünnes Stückchen
Kuchen zu holen, setzte sie sich am Ende des Wohnzimmers in den Erker und legte
die Falten ihres Rockes so geschickt, daß man die schlimmsten Stellen nicht
sah. Ihr demütigendes Erlebnis mit Rhett am Morgen war wie ausgelöscht durch
die Erregung, wieder in Gesellschaft zu sein und Musik zu hören. Morgen würde
sie sich über die Schmach, die Rhett ihr angetan, und über Frank Kennedys
verwirrtes Herz den Kopf zerbrechen, aber nicht heute abend. Heute abend war
sie lebendig bis in die Fingerspitzen, ihre Augen funkelten, und alle Sinne
waren voll froher Erwartung.
    Aus dem
Erker überblickte sie den riesigen Salon, beobachtete die Tänzer. Wie schön war
früher das Zimmer gewesen! Der Parkettfußboden hatte wie Glas geglänzt, der
Kronleuchter hatte mit seinen unzähligen Prismen jeden Strahl der vielen
Kerzen, die er trug, zurückgeworfen und als glitzernde Diamanten im Zimmer
verstreut. Die alten Porträts an den Wänden hatten würdig mit der
gastfreundlichen Miene alter Zeiten auf die Gäste herabgeschaut. Das größte der
weichen Sofas aus Rosenholz hatte in dem Erker gestanden, wo sie jetzt saß. Es
war immer ihr Lieblingsplatz gewesen. Von hier aus hatte man den Blick über den
Salon und über das Eßzimmer mit dem ovalen Mahagonitisch, an dem zwanzig Gäste
Platz hatten, auf den schweren Anrichtetisch und das Büfett mit dem gewichtigen
Silber, den siebenarmigen Leuchtern, den Pokalen, Kannen und Gläsern. Im ersten
Kriegsjahr hatte Scarlett hier oft gesessen, immer einen eleganten Offizier
neben sich, hatte der Geige, dem Akkordeon und dem Banjo zugehört und das
aufregende Schurren der tanzenden Füße an sich vorbeiziehen lassen.
    Heute gab
der Kronleuchter kein Licht. Er war verbogen, und die meisten Prismen waren
zerbrochen, denn die Yankees hatten ihn als Zielscheibe für ihre Stiefel
benutzt. Heute brannte nur eine Öllampe und einige wenige Kerzen, und das Feuer
im Kamin trug das meiste zur Erleuchtung des Zimmers bei. In seinem Licht trat
die hoffnungslose Verschrammtheit des alten Fußbodens hervor. Auf der
verblichenen Tapete waren noch die Vierecke, wo früher die Porträts gehangen
hatten, zu sehen, und breite Spalten im Stuck mahnten an die Granate, die über
dem Hause geplatzt und Teile des Daches und des zweiten Stockes weggerissen
hatte. Der schwere alte Mahagonitisch mit dem Kuchen und den Weinkannen darauf
war immer noch das Hauptstück des leeren Raumes, aber auch er war verschrammt,
und die zerbrochenen Beine waren ungeschickt ausgebessert worden. Die Anrichte,
das Silber und die feinen gedrechselten Stühle waren verschwunden, verschwunden
waren die altgoldenen Damastvorhänge an den hohen Glastüren, und nur ein Rest
der Spitzengardine, sauber ausgeflickt, war geblieben.
    An der
Stelle des geschweiften Sofas stand jetzt eine harte, nicht allzu bequeme Bank.
Scarlett setzte sich mit möglichst viel Anmut und Leichtigkeit darauf und
wünschte, ihr Rock wäre in einem Zustand, der ihr das Tanzen erlaubte. Es täte
so gut, einmal wieder zu tanzen. Aber natürlich konnte sie mit Frank in dieser
Abgeschiedenheit weiterkommen als in einem atemlosen Galopp. Hier konnte sie
gespannt seinen Schilderungen zuhören und ihn zu immer unüberlegteren Ergüssen
ermuntern.
    Wahrhaftig,
die Musik war einladend. Sehnsüchtig klappte sie mit dem Schuh den Takt um die
Wette mit dem großen Plattfuß des alten Levi, der schrill das Banjo schlug und
die Figuren der Quadrille aufrief:
     
    »Öle Dan
Tucker trank sich eins an! (Partner jetzt drehen!) Purzelt ins Feuer der arme
Mann! (Schleifen die Damen!)«
     
    Nach den
öden, aufreibenden Monaten in Tara war es so wohltuend, wieder Musik und das
Geräusch tanzender Füße zu hören. Es war, als wäre man tot gewesen und stünde
wieder auf. Fast schien es, als seien die frohen Tage von ehemals wieder da.
Wenn Scarlett die Augen schloß, konnte sie sich fast einbilden, es habe sich
nichts geändert. Wenn sie dann aber aufblickte und die alten Herren im Eßzimmer
beim Wein beobachtete, die verheirateten Frauen, die längs den Wänden saßen und
nicht mehr den Fächer, sondern die Hand vor den Mund hielten, wenn sie
miteinander sprachen, die trippelnden jungen Tänzer, dann kam es plötzlich kalt
und erschreckend über sie, daß es alles anders geworden war, als wären die
vertrauten Gesichter Gespenster. Lag das alles nur daran, daß sie fünf Jahre
älter geworden war? Nein, es war mehr als die Wirkung der verronnenen

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