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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Zeit.
Etwas war aus ihrer ganzen Welt entwichen. Vor fünf Jahren hatte ein Gefühl der
Sicherheit sie alle zusammen umhegt, in seinem Schutz hatten sie geblüht. Mit
ihm war der Zauber des ganzen alten Lebensstils dahin. Gewiß, auch Scarlett
hatte sich verändert, aber ihre Verwandlung war anders als die der andern, und
das beunruhigte sie. Sie beobachtete sie und fühlte sich fremd unter ihnen, als
käme sie aus einer anderen Welt und spräche eine Sprache, die niemand verstand.
Aber das war ja dasselbe Gefühl, das sie Ashley gegenüber hatte. Bei ihm und
anderen Leuten seiner Art fühlte sie sich ausgeschlossen von etwas, das sie
nicht verstand. Ihre Gesichter und ihr Benehmen hatten sich kaum geändert. Eine
Würde, die an kein Alter gebunden war, eine zeitlose Ritterlichkeit haftete ihnen
immer noch an. Aber eine unstillbare Bitterkeit, die sie mit ins Grab nehmen
würden, zu tief, um sie in Worten auszudrücken, hatte sich dazu gesellt. Es war
ein leise sprechendes, verbittertes, müdes Geschlecht, das geschlagen war und
die Niederlage nicht zugeben wollte, das gebrochen war und doch immer noch
aufrecht stand. Sie waren vernichtet und hilflos, die Bewohner eines eroberten
Landes. Sie sahen ihre Heimat von Feinden zertreten, ihre Gesetze von
Eindringlingen geschändet. Die früheren Sklaven wurden unverschämt, die Männer
waren des Stimmrechts beraubt, und die Frauen wurden beleidigt. Und sie dachten
an zahllose Gräber.
    Alles
hatte sich geändert, nur die alten Formen nicht. Sie mußten erhalten werden,
denn außer ihnen war nichts geblieben. Die Menschen hielten fest an dem, was
ihnen das Vertrauteste und Liebste war, an ihrer gelassenen Art, ihrer
Höflichkeit, dem angenehmen Obenhin ihrer Beziehungen und vor allem an der
schützenden Ritterlichkeit, die die Männer den Frauen gegenüber bewahrten. Fast
gelang es ihnen, den Anschein zu erwecken, als könnten sie immer noch die Damen
vor allem Rohen beschützen, was nicht vor das Auge einer Frau gehörte. Scarlett
fand das die Höhe der Lächerlichkeit. Es gab nur noch wenig, was nicht auch den
verwöhntesten Frauen in diesen fünf Jahren widerfahren wäre. Sie hatten die
Verwundeten gepflegt und den Sterbenden die Augen zugedrückt, sie hatten die
Leiden des Krieges, der Feuersbrunst und der Zerstörung erfahren, sie hatten
Entsetzen, Flucht und Hunger kennengelernt.
    Aber
einerlei, was sie mit Augen gesehen und mit den Händen verrichtet hatten und
noch verrichten mußten, sie blieben vornehme Damen und Herren, Könige im Exil -
verbittert, unnahbar und zurückhaltend, voller Güte gegeneinander und dabei
hart wie Diamanten und so glashell und spröde wie die Kristalle an den
zerbrochenen Kronleuchtern über ihren Köpfen. Die alten Zeiten waren vergangen,
aber diese Menschen gingen ihren Weg weiter, als wären die alten Zeiten noch
da, in der leichten Haltung der Muße, entschlossen, nicht dem Gelde
nachzujagen, wie die Yankees, entschlossen, nichts von der alten Art
aufzugeben.
    Scarlett
wußte, daß auch sie sich sehr verändert hatte. Sonst hätte sie all das nicht
tun können, was sie seit ihrem letzten Aufenthalt in Atlanta getan hatte. Sonst
hätte das nicht für sie in Betracht kommen können, was sie jetzt so verzweifelt
wünschte. Aber zwischen der Härte der anderen und ihrer eigenen war ein
Unterschied, welcher, konnte sie im Augenblick nicht feststellen. Vielleicht
bestand er darin, daß es für sie nichts gab, was sie unter keinen Umständen tun
würde, und für die andern so vieles, was sie um keinen Preis tun würden, und
wenn es sie das Leben kostete. Vielleicht auch darin, daß sie keine Hoffnung
mehr hatten und mit lächelnder Miene das Leben an sich vorüberziehen ließen.
Das aber konnte Scarlett nicht.
    Sie konnte
nicht das Leben an sich vorbeigehen lassen. Sie mußte es leben, und es war zu
unbarmherzig, zu feindlich, als daß sie auch nur hätte versuchen können, es mit
einem Lächeln zu beschönigen. Den liebenswürdigen Mut und den
unerschütterlichen Stolz ihrer Freunde erkannte Scarlett nicht. Sie sah nur
eine törichte Halsstarrigkeit, die wohl die Tatsachen zur Kenntnis nahm, aber
sich lächelnd weigerte, ihnen ins Gesicht zu sehen.
    Als sie
den Tänzern zuschaute und ihre vom Tanz erhitzten Gesichter sah, fragte sie
sich, ob nicht die gleichen Dinge, von denen sie selbst sich gehetzt fühlte,
auch jene vorwärts trieben: die toten Liebsten, die verkrüppelten Gatten, die
hungrigen Kinder, die Felder, die ihren Händen

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