Margaret Mitchell
entglitten, das geliebte Heim,
in dem nun Fremde wohnten. Natürlich fühlten sie das alles auch! Scarlett
kannte ihre Verhältnisse kaum weniger gründlich als die eigenen. Die gleichen
Verluste hatten sie erlitten, die gleichen Entbehrungen, und mit den gleichen
Schwierigkeiten hatten sie sich herumgeschlagen. Aber das alles hatte eine
andere Wirkung auf sie gehabt. Die Gesichter, die sie vor sich sah, waren keine
Gesichter, sondern Masken, ausgezeichnete Masken, die niemals abfielen.
Wenn jene
aber unter den grausamen Umständen ebenso schmerzlich zu leiden hatten wie sie
- und das hatten sie - , wie konnten sie sich dann so fröhlich, so leichtherzig
geben? Warum wollten sie so scheinen? Das ging über Scarletts Horizont und ärgerte
sie wohl auch ein wenig. Sie konnte nicht wie diese Menschen sein und dem
Untergang einer Welt gleichmütig zusehen, als ginge es sie nichts an. Sie
fühlte sich gejagt wie ein Fuchs und floh mit zerspringendem Herzen, um sich in
den Bau zu retten, ehe die Hunde über sie herfielen.
Plötzlich
haßte sie sie alle, weil sie anders waren als sie selbst und ihren Verlust mit
einer Haltung trugen, die sie nicht aufbringen konnte und wollte. Sie haßte
diese lächelnden, leichtfüßigen Fremden, diese stolzen Narren, die auf etwas
stolz waren, was sie verloren hatten, ja anscheinend stolz darauf waren, daß
sie es verloren hatten. Die Frauen blieben Damen, obwohl Magdarbeit ihr täglich
Brot war und sie nicht wußten, woher das nächste Kleid nehmen. Scarlett aber
konnte sich nicht als Dame fühlen, trotz ihrem Samtkleide und ihrem duftenden
Haar, trotz der vornehmen Abstammung, auf die sie pochen konnte, und dem
Reichtum, den sie einst besessen hatte. Die rauhe Berührung mit der roten Erde
von Tara hatte alle Vornehmheit von ihr abgestreift. Sie würde sich nicht als
Dame fühlen, bis ihr Tisch wieder mit Silber und Kristall beladen war und
würzige Speisen darauf dampften, bis sie ihre eigenen Pferde im Stall und einen
eigenen Wagen hatte, bis schwarze Hände und nicht weiße die Baumwolle von Tara
pflückten. Dies war der Unterschied! Die Dummköpfe sahen nicht ein, daß man
ohne Geld keine Dame sein konnte!
Aber als
ihr dies aufging, blieb ihr dennoch irgendwie bewußt, daß die andern mit ihrer
Haltung, so töricht sie schien, doch recht hatten. Ellen hätte das auch
gefunden. Das beunruhigte sie. Eigentlich sollte sie gleichfalls des
inbrünstigen Glaubens sein, daß eine geborene Dame auch in der Armut Dame
bleibe. Aber sie vermochte es nicht. In diesem einen Punkt hatten die Yankees
recht, auch wenn sie sonst überall irrten; es gehörte Geld dazu, Dame zu sein.
Ellen hätte sich auch der äußersten Armut nie geschämt, aber Scarlett schämte
sich, weil sie wirkliche Not litt und Negerarbeit tun sollte. Warum strebten
diese stolzen Narren nicht vorwärts, strengten jeden Nerv an und setzten selbst
die Ehre und den guten Namen aufs Spiel, um wieder zu gewinnen, was sie
verloren hatten! Vielen von ihnen schien es immer noch unter jeder Würde, dem
Gelde nachzujagen. Sie hielten alles ungeschminkte Geldverdienen, ja schon ein
Gespräch über Geld für unvornehm. Freilich gab es Ausnahmen. Mrs. Merriwether
und ihre Bäckerei, Rene, der einen Pastetenwagen fuhr, Hugh Elsing, der
Feuerholz spaltete und an den Türen feilbot, Tommy, der als kleiner Bauunternehmer
arbeitete, und Frank, der den Mut hatte, einen Laden zu eröffnen. Aber wie sah
es mit den anderen aus? Die Pflanzer bebauten ein paar Morgen und fristeten ein
kümmerliches Leben. Die Anwälte und Ärzte warteten auf Klienten und Patienten,
die nicht kamen; und all die übrigen, die in sorgloser Muße von ihren
Einkünften gelebt hatten? Was wurde aus ihnen?
Nein,
Scarlett wollte nicht geduldig darauf warten, daß ihr ein Wunder zu Hilfe käme.
Ihr Vater hatte als armer Einwanderer angefangen und Taras weite Felder
erworben. Was er getan hatte, konnte seine Tochter auch. Sie nahm nicht mit dem
Stolz vorlieb, eine Sache, die jedes Opfers wert war, verloren zu haben. Jene
schöpften Mut aus der Vergangenheit, sie aber schöpfte ihn aus der Zukunft. Für
den Augenblick war Frank Kennedy ihre Zukunft. Er hatte einen Laden und bares
Geld, und wenn es ihr gelang, ihn und sein Geld zu heiraten, konnte sie Tara
ein weiteres Jahr halten. Alsdann mußte er die Sägemühle kaufen. Sie sah ja mit
eigenen Augen, wie rasch die Stadt wieder aufgebaut wurde und daß ein
Holzhandel eine Goldgrube sein mußte.
Aus den
dunklen Tiefen ihres
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