Margaret Mitchell
Als die Wochen
vergingen und die Erregung in der Stadt über Schandtaten der Neger zunahm, kam
es immer häufiger vor. Aber warum suchte er sie gerade jetzt auf, da sie am
unvorteilhaftesten aussah? Absichten hatte er sicher nicht auf sie, wenn er
überhaupt je solche gehabt hatte, worüber ihr jetzt oft Zweifel aufstiegen.
Seit Monaten hatte er nicht einmal im Spaß mehr auf ihr peinliches Gespräch im
Gefängnis angespielt. Ashley hatte er nie mehr erwähnt, auch keinerlei
ungezogene Bemerkungen darüber gemacht, daß er »sie begehre«. Sie aber hielt es
für das beste, den schlafenden Löwen nicht zu wecken, und fragte nicht weiter
danach, was sein häufiges Auftauchen zu bedeuten habe. Endlich kam sie zu dem
Schluß, er suche sie nur auf, um nicht allein zu sein, weil er außer dem Spiel
so gut wie nichts zu tun hatte und nur so wenige unterhaltsame Freunde in
Atlanta besaß.
Welches
seine Gründe auch sein mochten, seine Gesellschaft war ihr höchst willkommen.
Er hörte geduldig ihre Klagen über verlorene Kunden und faule Schuldner, über
Johnsons Betrügereien und Hughs Untüchtigkeit an. Er sprach ihr seine
Anerkennung für das aus, was sie erreicht hatte, während Frank immer nur
nachsichtig dazu lächelte und Tante Pitty ganz benommen nichts anderes als »o
je!« zu sagen wußte. Sie war überzeugt, daß er ihr des öfteren Geschäfte
zuführte, obwohl er es immer leugnete. Er war ja mit allen reichen Yankees und
Schiebern eng vertraut. Sie wußte, was sie von ihm zu halten hatte, und traute
ihm nie ganz über den Weg, aber sie freute sich doch immer, wenn er ihr an
einer einsamen Strecke auf seinem hohen Rappen entgegengeritten kam. Sobald er
dann zu ihr in den Wagen stieg und ihr mit irgendeinem Scherzwort die Zügel aus
der Hand nahm, fühlte sie sich trotz all ihrer Sorgen und ihres zunehmenden
Leibesumfanges wieder jung und vergnügt. Über fast alles konnte sie mit ihm
reden und brauchte ihre Beweggründe und Herzensmeinungen nicht ängstlich zu
verbergen. Es fehlte ihr auch nie an Gesprächsstoff, wie in der Unterhaltung
mit Frank und sogar mit Ashley - wenn sie aufrichtig gegen sich selbst sein
wollte. In der Unterhaltung mit Ashley gab es so vieles, was sie um der Ehre
willen nicht berühren durfte, und vor lauter Unaussprechbarem fiel ihr
schließlich überhaupt nichts mehr ein. Es tat wohl, einen Freund wie Rhett zu
haben, seitdem er aus unerklärlichen Gründen beschlossen hatte, sich in ihrer
Gegenwart anständig zu benehmen. Es tat um so wohler, als sie nur noch wenige
Freunde hatte.
»Rhett«,
fragte sie kurz nach Onkel Peters Ultimatum voller Ungestüm, »warum behandeln
mich die Leute hier in der Stadt so schändlich und ziehen so über mich her? Man
kann wirklich nicht sagen, über wen sie ärger lästern, über mich oder über die
Schieber! Ich kümmere mich doch nur um meine Angelegenheiten und tue niemandem
etwas Böses.«
»Daß Sie
niemandem etwas Böses tun, liegt wohl nur daran, daß es Ihnen bisher an der
Gelegenheit dazu fehlt, und davon haben die Leute eine unbestimmte Ahnung.«
»Ach
bitte, bleiben Sie ernst. Die Leute machen mich ganz wild. Ich versuche doch
nur, ein bißchen Geld zu verdienen.«
»Sie sind
nur ein bißchen anders als andere Frauen und haben damit einigen Erfolg gehabt.
Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß das die einzige Sünde ist, die keine
Gesellschaft verzeiht. Sei anders und du wirst verdammt! Scarlett, die bloße
Tatsache, daß Sie mit Ihrer Mühle Erfolg haben, ist schon eine Beleidigung für
jeden Mann, der keinen Erfolg hat Vergessen Sie nicht, ein wohlerzogenes
weibliches Wesen gehört ins Haus und sollte nichts von dieser rohen,
betriebsamen Welt wissen.«
»Aber wenn
ich zu Hause geblieben wäre, dann hätte ich ja gar kein Zuhause mehr, wo ich
bleiben könnte.«
»Sie
hätten eben mit Anstand und Stolz verhungern sollen.«
»Ach,
dummes Zeug. Sehen Sie doch Mrs. Merriwether an, die verkauft den Yankees
Pasteten, und das ist viel schlimmer, als eine Mühle zu betreiben, und Mrs.
Elsing läßt sich Nähaufträge geben und nimmt Pensionäre und Fanny macht
fürchterliche Porzellanmalerei, die kein Mensch gebrauchen kann und jeder ihr
nur aus Mildtätigkeit abkauft.«
»Kind, Sie
verkennen, worauf es ankommt. Die haben keinen Erfolg, und daher kränken sie
die Herren nicht in ihrem flammenden Stolz. Die Herren der Schöpfung können
immer noch sagen: >Ihr armen süßen Dummerchen, wie quält ihr euch ab!<
Außerdem empfinden die Damen, von
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