Margaret Mitchell
bestricken könnte, die ihr eigen war und Scarlett so ganz abging.
Scarlett aber war voll inneren Aufruhrs wegen Ashley.
Wie konnte
Pa nur immer weiter über Fort Sumter und die Yankees reden, wo er doch wußte,
daß ihr das Herz brach? Sie wunderte sich nach Art sehr junger Leute darüber,
daß man ihren Schmerz vergessen konnte und die Welt sich trotz ihrem
gebrochenen Herzen weiter drehte wie immer. Ihr schwirrte der Kopf, als brauste
ein Sturmwind durch ihn hindurch, und es war so sonderbar, daß das Speisezimmer
mit dem wuchtigen Mahagonitisch, den Anrichteschränken, dem schweren
Silbergeschirr, mit den bunten Flickenteppichen auf dem blanken Fußboden so
friedlich wie immer vor ihr lag. Die ruhigen Stunden, die die Familie hier nach
dem Abendessen verbrachte, hatte Scarlett so gern, aber heute war der Anblick
ihr verhaßt, und am liebsten wäre sie leise hinausgegangen durch die dunkle
Halle in Ellens kleines Schreibzimmer und hätte auf dem alten Sofa ihren Kummer
ausgeweint. Dieses Zimmer hatte Scarlett von allen im Hause am liebsten. Hier
saß Ellen morgens an ihrem Schreibtisch, führte die Abrechnungen über die
Plantage und nahm den Bericht Jonas Wilkersons, des Aufsehers, entgegen. Dort
verbrachte auch die Familie ihre Mußestunden, während Ellens Gänsekiel über die
Buchseiten flog, Gerald in dem alten Schaukelstuhl, die Mädchen auf den
eingesessenen Sofakissen, die zu zerschlissen und abgenutzt für die
Vorderzimmer waren.
Dort zu
sein, allein mit Ellen, sehnte Scarlett sich jetzt, und - den Kopf im Schoße
der Mutter - ungestört zu weinen.
Da
knirschten Räder geräuschvoll durch den Kies, und schon war Ellens sanfte
Stimme draußen zu vernehmen. Gespannt blickten alle auf, als sie mit ihrem
wiegenden Gang hereintrat. Mit ihr kam der schwache Duft von Zitrone und
Verbene, der immer den Falten ihres Kleides entströmte und den Scarlett
allezeit mit dem Bild der Mutter verband. Ein paar Schritte hinter ihr folgte
Mammy, die Ledertasche in der Hand, mit vorgeschobener Unterlippe und gesenkten
Brauen. Sie sprach, während sie hereinwatschelte, leise vor sich hin, und zwar
so, daß ihre Bemerkungen nicht verstanden wurden, aber doch ihre entschiedene
Mißbilligung zum Ausdruck brachten.
»Es tut
mir leid, daß ich so spät komme.« Ellen ließ ihr Plaid von den Schultern
gleiten, gab es Scarlett und streichelte ihr die Wange. Bei ihrem Eintritt
hellte sich Geralds Gesicht auf. »Ist das Wurm getauft?« erkundigte er sich.
»Ja, und
tot, das arme Ding«, sagte Ellen. »Ich fürchtete, Emmie würde auch sterben,
aber ich glaube, sie bleibt am Leben.« Die Mädchen hoben ihre erschrockenen,
fragenden Gesichter empor, und Gerald schüttelte philosophisch den Kopf: »Nun,
es ist besser, das Wurm ist tot, das arme vaterlose ... «
»Es ist
schon spät, wir sollten lieber jetzt beten.« Ellen unterbrach ihn so sanft, daß
die Unterbrechung unbemerkt vorübergegangen wäre, hätte Scarlett ihre Mutter
nicht so gut gekannt. Gern hätte Scarlett gewußt, wer der Vater von Emmie
Slatterys Baby war, aber wenn sie die Wahrheit von ihrer Mutter zu hören
begehrte, so würde sie sie nie erfahren. Sie hatte Jonas Wilkerson im Verdacht,
denn sie hatte ihn oft bei einbrechender Nacht mit Emmie die Landstraße
entlanggehen sehen. Jonas war Junggeselle und ein Yankee. Seine Stellung als
Sklavenaufseher schloß ihn ein für allemal von jeder Berührung mit der
Gesellschaft des Landes aus. In keine auch nur halbwegs angesehene Familie
konnte er hineinheiraten, mit niemand konnte er verkehren, außer mit den
Slatterys und ähnlichem Gelichter. Da er an Bildung mehrere Stufen höher stand
als die Slatterys, hatte er natürlich keine Lust, Emmie zu heiraten, sooft er
auch in der Dämmerung mit ihr spazierenging. Scarlett seufzte, denn sie war
sehr neugierig. Immer gingen unter den Augen ihrer Mutter Dinge vor sich, die
Ellen so wenig bemerkte, als seien sie überhaupt nicht vorhanden. Ellen sah
über alles Unschickliche hinweg und verlangte von Scarlett dasselbe, allerdings
nur mit kümmerlichem Erfolg.
Ellen war
zum Kamin gegangen und hatte aus dem kleinen eingelegten Kästchen ihren
Rosenkranz genommen, als Mammy energisch dazwischentrat: »Mrs. Ellen, erst wird
zu Abend gegessen, ehe Sie beten.«
»Danke,
Mammy, ich habe keinen Hunger.«
»Ich
richte Ihnen selbst die Mahlzeit an, und dann essen Sie.« Mammy runzelte vor
Entrüstung die Stirn und begab sich durch die Halle in die Küche. »Pork!« rief
sie, »sag
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