Margaret Mitchell
Butter
herabtroff. Mammy gab dem kleinen Jack einen Puff, und er begann eilends,
hinter Ellens Rücken zu wedeln. Mammy stand neben dem Tisch und beobachtete
jeden Bissen, der vom Teller zum Munde der Herrin wanderte. Scarlett sah, daß
Ellen vor Müdigkeit kaum wußte, was sie aß. Nur Mammys unerbittliche Miene
zwang sie dazu. Als die Schüssel leer war und Gerald seinen Vortrag über die
leidigen Yankees noch nicht annähernd beendet hatte, stand Ellen auf.
»Wollen
wir schon beten?« fragte er.
»Ja, es
ist schon spät - wahrhaftig, zehn Uhr. Carreen sollte längst schlafen. Bitte,
die Lampe, Pork, und mein Gebetbuch, Mammy.« Auf Mammys heiseres Geflüster
stellte Jack seinen Fliegenwedel in die Ecke und räumte die Schüssel weg,
während Mammy in der Schublade der Anrichte nach Ellens zerlesenem Gebetbuch
suchte. Pork stellte sich auf die Zehen, faßte den Ring an der Kette und zog
die Hängelampe langsam herunter, bis das obere Ende des Tisches in Licht
getaucht war und die Zimmerdecke im Dunkeln verschwand. Ellen schob ihre Röcke
zurecht und ließ sich auf die Knie nieder, legte das offene Gebetbuch auf den
Tisch vor sich hin und faltete darüber die Hände. Gerald kniete neben ihr.
Scarlett und Suellen nahmen ihre gewohnten Plätze am anderen Ende des Tisches
ein und legten ihre faltigen Unterröcke unter den Knien zu einem Polster
zusammen, damit ihnen der harte Fußboden nicht so weh täte. Carreen, die klein
für ihr Alter war, konnte nicht recht am Tisch knien und ließ sich deshalb vor
einem Stuhl nieder, die Ellenbogen auf dem Sitz. So kniete sie gern, denn sie
schlief fast immer während der Andacht ein, und wenn sie in dieser Stellung
hockte, merkte ihre Mutter nichts davon. Die Hausneger kamen in die Halle
geschlurft und geraschelt und knieten dann an der Tür. Mammy stöhnte laut auf,
als sie sich niederließ, Pork hielt sich gerade wie ein Ladestock, Rosa und
Teena breiteten anmutig die bunten Kattunröcke aus. Die Köchin sah hager und
gelb unter ihrem schneeweißen Kopftuch hervor, und der ganz verschlafene Jack
suchte sich seinen Platz so weit entfernt von Mammys kneifenden Fingern wie nur
möglich. Die dunklen Augen der Neger glänzten erwartungsvoll, die Andacht mit
der weißen Herrschaft war eins der Ereignisse des Tages. Von den alten, schönen
Sprüchen der Litanei und ihrer morgenländischen Bildersprache verstanden sie
nicht viel, und doch gingen sie ihnen zu Herzen, und während sie singend
respondierten: »Herr, erbarme dich unser, Christe, erbarme dich unser«, wiegten
sie den Oberkörper andächtig hin und her.
Ellen
schloß die Augen und fing an zu beten, ihre Stimme hob und senkte sich
beruhigend wie ein Schlummerlied. Die Köpfe senkten sich in den gelben
Lichtkreis, als Ellen Gott dankte für die Gesundheit und das Glück ihres Heimes
und ihrer Familie und ihrer Neger.
Als sie
ihre Gebete für alle Bewohner von Tara, für ihren Vater, ihre Mutter, ihre
Schwestern, die drei kleinen toten Söhne und »alle die armen Seelen im
Fegefeuer« beendet hatte, nahm sie die weißen Perlen in ihre schlanken Finger
und begann den Rosenkranz zu beten. Wie ein sanfter Wind kamen die Antworten
aus schwarzen und aus weißen Kehlen zurückgesäuselt:
»Heilige
Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres
Todes. Amen.«
Trotz
ihrem Herzweh und dem Schmerz unvergossener Tränen kam Ruhe und tiefer Friede
über Scarlett, wie immer zu dieser Stunde. Ein wenig von der Enttäuschung
dieses Nachmittags, von der Angst vor dem kommenden Tag wich von ihr. Nicht die
Erhebung des Herzens zu Gott brachte ihr diese Linderung; denn Religion war ihr
kaum mehr als Lippendienst. Es war der Anblick ihrer Mutter, wie sie ihr
verklärtes Gesicht zum Throne Gottes, seinen Heiligen und Engeln erhob und
Segen herabflehte auf die Menschen, die sie liebte, der ihr so naheging. Wenn
Ellen im Himmel für sie eintrat, mußte der Himmel sie erhören, dessen war
Scarlett gewiß.
Ellen war
fertig, und Gerald, der seinen Rosenkranz zur Abendandacht nie finden konnte,
begann verstohlen sich die Aves und Paternosters an den Fingern abzuzählen. Bei
seinem summenden Psalmodieren konnte Scarlett nicht verhindern, daß ihre
Gedanken abschweiften. Sie wußte wohl, sie sollte jetzt ihr Gewissen prüfen.
Ellen hatte sie gelehrt, es sei ihre Pflicht, am Ende jedes Tages in ihrem
Gewissen gründlich Umschau zu halten, ihre zahlreichen Verfehlungen zu gestehen
und Gott um Vergebung und um die Kraft
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