Margaret Mitchell
falsche
Bewegung, und der Strick liegt ihnen um den Hals. Ich weiß zwar, Scarlett, es
kommt Ihnen auf das Leben Ihrer Mitbürger wenig an, aber Ihre Mühle verlören
Sie nicht gern! Ihrem trotzigen Gesicht sehe ich an, daß ich keinen Glauben bei
Ihnen finde und meine Worte auf steinigen Boden fallen. Ich kann Ihnen also nur
sagen, behalten Sie stets die Pistole in Reichweite, und wenn ich in der Stadt
bin, will ich versuchen, zur Hand zu sein, damit ich Sie fahren kann.«
»Rhett,
haben Sie wirklich ... um mich zu beschützen ...?«
»Jawohl,
mein Kind, mich drängt meine weitberühmte Ritterlichkeit, Sie zu beschützen.«
Wieder tanzten spöttische Lichter in seinen schwarzen Augen, und aller Ernst
wich aus ihrem Gesicht. »Und warum? - Um meiner tiefen Liebe zu Ihnen willen,
Mrs. Kennedy. Jawohl, ich habe im stillen nach Ihnen gehungert und gedürstet
und Sie von ferne angebetet; da ich aber ein Ehrenmann bin wie Mr. Ashley
Wilkes, habe ich es Ihnen verborgen. Sie sind, Gott sei es geklagt, Frank
Kennedys Gattin, und die Ehre hat mir verboten, Ihnen mein Herz zu offenbaren.
Aber sogar Mr. Wilkes' Ehre bekommt ja gelegentlich einen Sprung, und die
meinige bekommt ihn jetzt. Ich enthülle Ihnen also meine heimliche Leidenschaft
und mein ... «
»Um
Himmels willen, seien Sie still«, unterbrach ihn Scarlett. Wie immer ärgerte
sie sich, wenn er sie zum besten hatte; auch lag ihr nichts daran, daß Ashley
und seine Ehre wiederum zum Gesprächsstoff herhalten sollten. »Und was war das
zweite, was Sie mir sagen wollten?«
»Was? Sie
schneiden mir einfach das Wort ab, wenn ich mein liebendes, gefoltertes Herz
vor Ihnen entblöße? - Nun, das zweite ist folgendes.« Die spöttischen Lichter
waren wieder erloschen, sein Gesicht war dunkel und unbewegt. »Sie müssen etwas
wegen des Pferdes tun. Es ist störrisch und im Maul hart wie Eisen, ermüdend zu
fahren, nicht wahr? Wenn es einmal durchgehen sollte, können Sie es unmöglich
halten, und wenn Sie in einem Graben umwerfen, können Sie mitsamt dem Kind
dabei umkommen. Sie sollten ihm ein möglichst schweres Gebiß anschaffen oder
aber es gegen ein sanfteres Tier umtauschen.«
Sie
blickte in sein glattes, ganz ausdrucksloses Gesicht, und plötzlich schwand ihr
Ärger, wie ihr die Verlegenheit geschwunden war, nachdem sie mit ihm über ihre
Schwangerschaft gesprochen hatte. Eben erst war er so gut zu ihr gewesen und
hatte ihr, als sie vor Scham vergehen wollte, ihre Unbefangenheit
zurückgegeben. Und jetzt war er noch gütiger und sehr besorgt wegen des
Pferdes. Dankbarkeit regte sich in ihr. Warum konnte er nicht immer so ein?
»Das Pferd
läßt sich schwer lenken«, stimmte sie demütig bei. »Manchmal tun mir noch die
ganze Nacht die Arme weh, weil ich so zerren muß. Tun Sie damit, was Sie für
das beste halten.«
Seine
Augen funkelten boshaft. »Das klingt ja wieder ganz sanftmütig und weiblich,
Mrs. Kennedy, gar nicht so herrisch wie gewöhnlich. Man muß nur mit Ihnen
umzugehen wissen, dann werden Sie wie Ton in des Töpfers Hand.«
Sie machte
ein böses Gesicht und geriet von neuem in Hitze.
»Jetzt
machen Sie aber, daß Sie aus dem Wagen kommen, sonst gibt's eins mit der
Peitsche. Ich weiß gar nicht, warum ich Sie überhaupt so lange dulde und nett
mit Ihnen bin. Sie haben weder Manieren noch Moral und sind überhaupt ein ...
ein ... hinaus mit Ihnen, im Ernst!«
Als er
aber ausgestiegen war und sein Pferd hinten vom Wagen losgemacht hatte und sie
von der dämmerigen Straße her aufreizend anlachte, konnte sie im Davonfahren
ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja, er war ungezogen und unberechenbar, man
wußte nie, woran man mit ihm war und wann die stumpfe Waffe, die man ihm in
einem unbedachten Augenblick in die Hand gab, zur haarscharfen Klinge wurde.
Aber schließlich wirkte er doch belebend wie ein heimliches Glas Schnaps.
In diesen
Monaten hatte Scarlett mit Schnaps umzugehen gelernt. Wenn sie spätnachmittags
durchnäßt und mit steifen, schmerzenden Gliedern nach stundenlanger Fahrt im
Einspänner heimkam, hielt sie nur noch der Gedanke an die Flasche aufrecht, die
in ihrer obersten Schreibtischschublade vor Mammys Spähaugen wohlverwahrt und
verschlossen stand. Dr. Meade hatte noch nicht daran gedacht, ihr zu sagen, daß
eine Frau in ihrem Zustand nicht trinken dürfe. Er hatte nie gesehen, daß eine
anständige Frau überhaupt ein stärkeres Getränk als Fuchstraubenwein zu sich
nahm, höchstens natürlich ein Glas Sekt auf einer Hochzeit
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