Margaret Mitchell
oder einen Glühwein,
wenn sie schwer erkältet im Bett lag. Freilich gab es unselige Frauen, die zur
ewigen Schande ihrer Familie tranken, ebenso wie es wahnsinnige oder
geschiedene Frauen gab oder solche, die wie Miß Susan B. Anthony meinten, die
Frauen müßten das Stimmrecht bekommen. Aber soviel auch der Doktor an Scarlett
auszusetzen hatte - daß sie trank, kam ihm nicht in den Sinn.
Scarlett
hatte herausgefunden, daß ein Schuß Branntwein vor dem Abendessen ihr unendlich
wohltat. Sie konnte ja rasch ein paar Kaffeebohnen kauen und mit Kölnisch
Wasser gurgeln, um den Geruch zu vertreiben. Warum regten sich die Leute so
auf, wenn Frauen tranken, wo doch die Männer sooft sie nur wollten, sich
schwere Räusche antranken? Manchmal, wenn Frank neben ihr lag und schnarchte,
daß sie nicht einschlafen konnte, wenn sie sich herumwälzte und sich mit der
Angst vor der Armut, dem Grauen vor den Yankees, dem Heimweh nach Tara oder der
Sehnsucht nach Ashley halb tot quälte, meinte sie, ohne die Branntweinflasche
müßte sie den Verstand verlieren. Sobald ihr die schöne traute Wärme durch die
Adern rann, schwanden alle Sorgen. Nach drei Gläsern konnte sie sich jedesmal
sagen: »Ich will morgen über diese Sache nachdenken, morgen werde ich eher und
besser damit fertig.«
Aber es
gab Nächte, da auch der Branntwein ihren Kummer nicht stillen konnte. Nächte,
in denen das Heimweh nach Tara so stark in ihr wurde, daß es sogar die Angst
vor dem Verlust der Mühle verdrängte. Manchmal war ihr zumute, als müsse sie in
Atlanta ersticken bei all dem Lärm, den Neubauten, den fremden Gesichtern und
den engen Straßen voller Pferde und Lastwagen und wogender Menschenmengen. Sie
hatte Atlanta lieb, aber ach, der süße Friede, die ländliche Ruhe auf Tara, die
roten Felder mit den dunklen Kiefern am Rande! Könnte sie nur nach Tara zurück,
einerlei, wie schwer das Leben dort sein mochte, und bei Ashley sein, nur
einmal ihn sehen und sprechen hören und sich an dem Bewußtsein stärken, daß er
sie liebte! Bei jedem Brief von Melanie, in dem es hieß, es gehe ihnen gut, bei
jeder Mitteilung von Will über das Pflügen, Pflanzen und Pflegen der Baumwolle
sehnte sie sich aufs neue nach Hause.
»Ich fahre
im Juni hin, dann kann ich hier doch nichts mehr anfangen, ich fahre für ein
paar Monate nach Hause«, dachte sie und faßte neuen Mut.
Sie fuhr im
Juni nach Hause, aber nicht, wie sie es sich gewünscht hatte. In den ersten
Tagen des Monats kamen ein paar Zeilen von Will, in denen stand, daß Gerald
gestorben sei.
Der Zug
hatte große Verspätung, und die tiefblaue Junidämmerung breitete sich schon über
die Landschaft, als Scarlett in Jonesboro ausstieg. Aus den wenigen Läden und
Häusern des Ortes, die stehengeblieben waren, fiel gelber Lampenschein.
Zwischen den Gebäuden an der Hauptstraße klafften breite Lücken zerschossener
und niedergebrannter Häuser, und Gebäude mit Granatlöchern im Dach und
teilweise weggerissenem Gemäuer starrten stumpf und dunkel auf sie herab. Ein
paar Reitpferde und Maultiergespanne waren draußen an den hölzernen
Sonnendächern vor Bullards Laden angebunden. Die staubige rote Straße war wie
ausgestorben, nichts war zu hören als hin und wieder ein Ruf oder ein trunkenes
Gelächter, das aus der Kneipe am unteren Ende der Straße in die stille
Abendluft drang.
Der
Bahnhof war in der Schlacht abgebrannt und seitdem nicht wieder aufgebaut. An
seiner Stelle stand nur ein hölzerner Schuppen ohne Wände, die die Witterung
abhalten konnten. Scarlett ging darunter auf und ab und setzte sich dann auf
eins der leeren Fässer, die offenbar als Sitzgelegenheit dorthin gestellt
waren. Sie schaute die Straße hinauf und hinab nach Will Benteen aus. Er hätte
hier sein sollen, um sie abzuholen. Er mußte doch wissen, daß sie sich sofort
auf die Bahn setzte, nachdem sie seine knappe Mitteilung von Geralds Tod
erhalten hatte.
Sie war so
eilig abgefahren, daß sie in ihrer kleinen Reisetasche nur ein Nachthemd und
eine Zahnbürste, aber nicht einmal Wäsche zum Wechseln mit sich führte. Sie
fühlte sich sehr unbehaglich in dem engen schwarzen Kleid, das sie sich von
Mrs. Meade geborgt hatte, weil sie keine Zeit fand, sich noch Trauerkleidung zu
besorgen. Mrs. Meade war mager geworden, und da Scarlett schwanger war, saß das
Kleid doppelt unbequem. Sogar in ihrem Schmerz um Gerald dachte sie noch an
ihre äußere Erscheinung und schaute mit Widerwillen an sich herunter. Ihre
Figur war völlig
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