Margaret Mitchell
hatte es überhaupt so lange zusammenhalten können? Will mußte
es meisterhaft ausgebessert haben. Ein wenig sonderbar wurde ihr doch zumute
bei dem Anblick und der Erinnerung an jenen Abend. Und wenn sie barfuß laufen
mußte und es bei Tante Pitty weniger zu essen geben sollte, sie wollte dafür
sorgen, daß auf Tara ein neuer Wagen angeschafft wurde und dieser ins Feuer
wanderte.
Will sagte
eine ganze Weile gar nichts, und Scarlett war ihm dankbar dafür. Er warf den
schäbigen Strohhut nach hinten in den Wagen, schnalzte dem Pferde, und sie
fuhren davon. Will war immer noch der alte, hager und unbeholfen, mit rötlichem
Haar und sanften Blicken, geduldig wie ein Lasttier.
Der Ort
blieb hinter ihnen zurück, und sie bogen in die rote Landstraße ein, die auf
Tara zuführte. Am Rande des Himmels glomm immer noch ein schwaches Rosenrot,
golden und im zartesten Grün ruhten die bauschigen Federwolken. Die Stille der
ländlichen Dämmerung senkte sich herab, beruhigend wie ein Gebet. Wie hatte sie
es überhaupt all die Monate fern von hier aushalten können, ohne die Luft des
Landes und den frischen Geruch der Erde, fern von den süßen Sommernächten? Der
feuchte rote Boden roch so würzig, so heimatlich und vertraut, daß sie am
liebsten ausgestiegen wäre und sich eine Handvoll Erde geholt hätte. Der
Jelängerjelieber, der die ausgewaschenen roten Hänge an der Straße mit einem
Gewirr von Grün überspann, duftete überwältigend stark wie immer nach Regen. Es
war der süßeste Duft, den sie kannte. Über ihrem Kopf wirbelte plötzlich mit
flinken Schwingen ein Schwarm Mauerschwalben, und hin und wieder flitzte ein
aufgeschrecktes Kaninchen quer über die Straße, der weiße Schwanz wippte wie
eine Puderquaste aus Daunen. Mit Freude sah Scarlett, wie gut die Baumwolle
stand, als sie zwischen den bestellten Feldern dahinfuhren, wo die grünen
Büsche stämmig aus der roten Erde wuchsen. Wie schön war das alles! Der weiche
graue Nebel über den sumpfigen Niederungen, die rote Erde, die junge Baumwolle,
die welligen Felder mit den sich schlängelnden grünen Pflanzenreihen und die
schwarzen Kiefern, die gleich düsteren Mauern im Hintergrund ragten. Wie hatte
sie nur Atlanta so lange ertragen können!
»Scarlett,
ehe ich Ihnen von Mr. O'Hara erzähle - und ich erzähle Ihnen alles, bis wir zu
Hause sind - , möchte ich über etwas anderes Ihre Meinung hören. Sie sind ja
wohl jetzt das Haupt der Familie.«
»Ja,
Will.«
Einen
Augenblick wendete er ihr seinen milden, ganz sachlichen Blick zu.
»Ich
möchte Ihre Zustimmung haben, daß ich Suellen heirate.«
Scarlett
hielt sich am Sitz fest, denn sie wäre fast vor Überraschung hintenübergefallen.
Suellen heiraten! Sie hatte es nicht für möglich gehalten, daß sich noch jemand
finden würde, der Suellen heiratete, nachdem sie ihr Frank Kennedy weggenommen
hatte. Wer trug denn wohl Verlangen nach Suellen?
»Aber
Will!«
»Das heißt
wohl, daß Sie nichts dagegen haben?«
»Dagegen?
Nein, aber ... Will, ich bin ganz sprachlos. Sie wollen Suellen heiraten? Will,
ich dachte immer, Sie hätten Carreen gern.«
Will
wandte kein Auge vom Pferd und trieb es mit lockeren Zügeln an. In seinem
Gesicht veränderte sich nichts. Aber ihr war, als hätte er leise geseufzt.
»Das war
einmal«, sagte er.
»Will sie
denn nichts von Ihnen wissen?«
»Ich habe
sie nie gefragt.«
»Ach,
Will, Sie sind zu dumm. Fragen Sie sie doch. Sie ist doppelt soviel wert wie
Suellen.«
»Scarlett,
Sie wissen vieles nicht, was in Tara vorgegangen ist. Sie haben uns die letzten
Monate nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt.«
»So,
meinen Sie das?« brauste sie auf. »Was habe ich denn wohl in Atlanta getan?
Glauben Sie etwa, ich sei vierspännig gefahren und auf Bälle gegangen? Habe ich
euch nicht jeden Monat Geld geschickt? Habe ich nicht die Steuern bezahlt und
das Dach dicht machen lassen und einen neuen Pflug und Maultiere gekauft? Habe
ich nicht ... «
»Sie
brauchen nicht nach irischer Art aus der Haut zu fahren«, fiel er ihr
unerschütterlich ins Wort. »Wenn jemand weiß, was Sie geleistet haben, so bin
ich es. Zwei Männer hätten es nicht so geschafft wie Sie.«
Ein wenig
besänftigt frage sie: »Nun, also, was soll denn das heißen?«
»Gewiß,
Sie haben uns das Dach über dem Kopf und die gefüllte Speisekammer erhalten,
das leugne ich nicht, aber Sie haben sich nicht viel Gedanken darüber gemacht,
was hier auf Tara in unseren Köpfen vor sich gegangen ist.
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