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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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geschlossenen Lider hindurch
Ellens emporgerichtetes Gesicht und nicht die Heilige Jungfrau, wenn die
uralten Worte erklangen: »Heil der Kranken, Sitz der Weisheit, Zuflucht der
Sünder, geheimnisvolle Rose« - die Worte waren schön, weil sie Ellens Attribute
waren. Aber heute abend hatte die ganze Zeremonie, die leisen Worte, die
gemurmelten Antworten, für Scarlett in ihrem eigenen Hochgefühl eine Schönheit,
wie sie sie nie zuvor erlebt hatte. Ihr Herz erhob sich zu Gott in aufrichtigem
Dank dafür, daß ihren Füßen ein Pfad sich öffnete - ein Pfad aus dem Elend,
geradeswegs in Ashleys Arme.
    Als das
letzte Amen verklungen war, erhoben sie sich alle auf die etwas steifen Füße,
Teena und Rosa richteten mit vereinten Kräften Mammy wieder auf. Pork nahm
einen langen Lichtstock vom Kamin, entzündete ihn an der Lampe und ging hinaus
in die Halle. Der Wendeltreppe gegenüber befand sich ein Anrichteschrank aus
Nußbaumholz, der für das Eßzimmer zu groß war, und auf seinem weiten Sims
standen mehrere Lampen und eine lange Reihe Leuchter mit Kerzen. Pork zündete
ein Lampe und drei Kurzen an und geleitete mit der Würde eines ersten
Kammerherrn des königlichen Schlafgemachs, der dem König und der Königin in
ihre Gemächer voranleuchtet, die Prozession die Treppe hinauf, die Kerze hoch
über dem Kopf. Ellen folgte ihm an Geralds Arm, dann gingen die Mädchen, jedes
mit seinem eigenen Leuchter, hinauf. Scarlett ging in ihr Zimmer, stellte die
Kerze auf ihre hohe Kommode und suchte in dem dunklen Wandschrank nach dem
Ballkleid, an dem etwas zu nähen war. Sie nahm es und schritt dann leise über
den Flur. Die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern stand ein wenig offen, und ehe
sie klopfen konnte, vernahm sie Ellens Stimme leise, aber streng: »Mr. O'Hara,
du mußt Jonas Wilkerson entlassen.«
    Gerald
schäumte auf: »Und woher soll ich einen neuen Aufseher bekommen, der mich nicht
übers Ohr haut?«
    »Er muß
sofort entlassen werden, morgen früh. Der große Sam ist ein guter Vorarbeiter,
er kann das Amt so lange übernehmen, bis du einen neuen Aufseher anstellst.«
    »Ah, so!«
klang darauf Geralds Stimme. »Jetzt verstehe ich! Dann hat also der würdige
Jonas mit der ... «
    »Er muß
entlassen werden.«
    »Er ist
also der Vater von Emmie Slatterys Baby«, dachte Scarlett. »Nun ja, was kann
man von einem Yankee und einem Mädchen aus dem weißen Pack anderes erwarten?«
    Nach einer
behutsamen Pause, in der Geralds Wortschwall Zeit hatte abzuebben, klopfte sie
an die Tür und reichte ihrer Mutter das Kleid.
    Als sie
sich dann ausgezogen und das Licht gelöscht hatte, war ihr Plan für morgen bis
in jede Einzelheit fertig. Ein einfacher Plan. Mit der von Gerald ererbten
Geradlinigkeit sah sie nur das eine Ziel vor sich und den kürzesten Weg, der
dahin führte.
    Zuerst
wollte sie »stolz« sein, wie Gerald befohlen hatte, sobald sie aber in Twelve
Oaks ankamen, wollte sie ihre lustigste, ausgelassenste Miene aufsetzen.
Niemand sollte auf den Gedanken kommen, sie könne wegen Ashley und Melanie
traurig sein. Und dann wollte sie jedem Manne dort Augen machen. Das war
vielleicht grausam gegen Ashley, aber er würde nur um so  leidenschaftlicher nach
ihr verlangen.  Keinen Mann in heiratsfähigem Alter wollte sie übersehen, von
dem alten Rotbart Frank Kennedy, Suellens Verehrer, bis zu dem schüchternen,
stillen, fortwährend errötenden Charles Hamilton, Melanies Bruder. Sie sollten
sie alle umschwärmen wie Bienen ihren Stock; sicher würde das Ashley von
Melanies Seite weg in den Kreis ihrer Bewunderer ziehen. Darauf wollte sie es
einrichten, fern von der Menge ein paar Minuten mit ihm allein zu sein. Wenn
Ashley nicht den ersten Schritt tat, so mußte sie ihn eben selber tun.
    Waren sie
dann endlich allein, so war der Eindruck von all den andern Männern noch frisch
in seiner Seele; die Tatsache, daß alle sie umwarben, ging ihm nahe, und dann
würden seine Augen den bekümmerten, verzweifelten Blick haben. Aber dann wollte
sie ihn wieder glücklich machen und ihn fühlen lassen, daß sie, die von allen
Geliebte, ihn allen andern Männern auf der Welt vorzog. Und während sie es
verschämt und süß gestand, sollte er noch tausenderlei mehr in ihren Augen
lesen. Natürlich würde das alles auf die vornehmste Weise geschehen. Sie würde
sich nicht im Traum einfallen lassen, ihm offen zu sagen, daß sie ihn liebte -
das ging auf keinen Fall. Die Art, wie sie es ihn merken lassen wollte, war
eine Nebensache,

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