Margaret Mitchell
Freundinnen anvertraut. Und sie selbst, die
furchtsamste aller Frauen, hatte sich nicht gescheut, mit ihm allein im Hause
zu bleiben.
»Miß
Wilkes ist für eine Frau wirklich verständig. Sie stimmte mir bei, daß ein
Lügner immer weiter lügt und ein Dieb immer weiter stiehlt, aber einen Mord
begeht man nur einmal im Leben. Für sie hat einer, der für die Konföderierten
mitgekämpft hat, alles Schlechte gesühnt. Das finde ich zwar nicht, aber ich
habe nichts Schlechtes getan, als ich meine Frau umbrachte ... Ja, Miß Wilkes
ist wirklich verständig für eine Frau. Und das sage ich Ihnen, der Tag, wo Sie
Sträflinge mieten, ist meine letzter Tag bei Ihnen.«
Scarlett
antwortete nicht, aber sie dachte: »Je eher, desto lieber. Ein Mörder!«
Es gab
überhaupt keine Worte dafür, daß Melly ihn aufgenommen und ihren Freunden
verheimlicht hatte, daß er ein Zuchthäusler war. Der Heeresdienst sühnte also
einen Mord! Melanie verwechselte das wohl mit der Taufe! Aber wenn es sich um
die Konföderation und um ihre Veteranen handelte, war Melly nun einmal nicht
zurechnungsfähig. Scarlett verwünschte die Yankees leidenschaftlicher denn je
und kreidete ihnen auch dies an. Es war ihre Schuld, wenn eine Frau sich
gezwungen sah, zu ihrem Schutz einen Mörder neben sich zu haben.
Als
Scarlett mit Archie in der kühlen Dämmerung nach Hause fuhr, sah sie vor dem
Etablissement »Mädchen von heute« allerlei Pferde, Einspänner und Leiterwagen
stehen. Ashley saß auf seinem Pferd mit einem angespannten und aufmerksamen
Gesichtsausdruck. Die Simmonsschen Jungens lehnten aus ihrem Einspänner heraus,
und Hugh Elsing, dem die Haarlocke über die Stirn fiel, fuchtelte mit beiden
Händen in der Luft. Großpapa Merriwethers Pastetenwagen stand im Mittelpunkt
der erregten Gruppe, und als Scarlett näher kam, sah sie, daß Tommy Wellburn
und Onkel Henry Hamilton sich neben ihm auf dem engen Sitz drängten.
Wenn nur -
dachte Scarlett ärgerlich - Onkel Henry nicht auf diesem Gestell nach Hause
fährt. Als ob er nicht selbst ein Pferd hätte. Das tut er nur, damit er jeden
Abend mit Großpapa in die Kneipe gehen kann.
Als sie
herankam, teilte sich die Spannung, die in der Luft lag, unwillkürlich auch ihr
mit. »Hoffentlich«, dachte sie, »ist nicht wieder jemand vergewaltigt worden.
Wenn der Ku-Klux-Klan noch einen einzigen Neger lyncht, lassen die Yankees
nichts mehr von uns nach!« Dann sagte sie zu Archie: »Halten Sie!«
»Sie
wollen doch wohl nicht vor einer Kneipe halten«, sagte Archie.
»Hören Sie
nicht, halten Sie! Guten Abend, alle miteinander. Ashley, Onkel Henry, hat
wieder jemand eine Dummheit gemacht? Ihr seht alle aus ... «
Alle
wandten sich nach ihr um und griffen an die Hüte, aber in den Augen glühte die
Erregung.
»Dummheit
oder nicht«, knurrte Onkel Henry, »es kommt darauf an, wie man's ansieht. Mir
scheint, die Gesetzgebende Versammlung hätte gar nicht anders handeln können.«
»Die
Gesetzgebende Versammlung?« dachte Scarlett erleichtert. Die interessierte sie
wenig. Sie hatte etwas anderes befürchtet. »Was hat die Gesetzgebende
Versammlung denn verbrochen?«
»Rundweg
geweigert hat sie sich, die Verfassungsänderung zu ratifizieren«, sagte
Großpapa Merriwether stolz. »Die sollen uns kennenlernen!«
»Wir
werden das aber verdammt noch einmal ausbaden müssen - Verzeihung, Scarlett«,
sagte Ashley.
»Ach, für
die Verfassungsänderung?« fragte Scarlett und versuchte, ein verständnisvolles
Gesicht dazu zu machen. Politik ging über ihren Horizont. Vor einiger Zeit war
eine dreizehnte Verfassungsänderung ratifiziert worden, vielleicht war es auch
die sechzehnte gewesen, was aber >ratifizieren< hieß, davon hatte sie
keine Ahnung. Aber immer bekamen bei solchen Fragen die Männer heiße Köpfe.
Etwas von ihrer Ahnungslosigkeit zeigte sich in ihrem Gesicht, und Ashley
lächelte.
»Es
handelt sich um die Verfassungsänderung, die den Schwarzen das Stimmrecht
gibt«, erklärte er ihr. »Sie ist der Gesetzgebenden Versammlung vorgelegt
worden, und die hat sich geweigert, zu ratifizieren.«
»Zu dumm!
Die Yankees werden uns ja doch zwingen, das auszulöffeln.«
»Das
meinte ich eben, als ich sagte, wir würden es ausbaden müssen«, sagte Ashley.
»Ich bin
stolz auf die Gesetzgebende Versammlung und ihren Mut«, rief Onkel Henry laut.
»Sie können es uns nicht zu schlucken geben, wenn wir es nicht schlucken
wollen.«
»Das
können sie doch und werden es auch tun.«
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