Margaret Mitchell
vierzig Jahre lang.
Der Gefängnisdirektor rief uns alle zusammen und sagte: >Die Yankees kommen,
sie morden und brennend Wenn mir nun etwas noch verhaßter ist als die Nigger
und die Weiber, dann sind es die Yankees.«
»Warum? ...
Haben Sie überhaupt einen Yankee gekannt?«
»Nein,
Miß, aber ich habe von ihnen gehört. Sie sollen sich immer in anderer Leute
Sachen mischen. Solche Leute hasse ich. Was hatten sie in Georgia zu suchen,
unsere Nigger loszulassen und die Häuser niederzubrennen und das Vieh
abzuschlachten! Also, der Gefängnisdirektor sagte, die Armee brauchte Soldaten,
und wer mitginge, sollte frei sein, wenn der Krieg aus wäre ... falls er dann
noch lebte. Aber uns Lebenslängliche, uns Mörder, wolle die Armee nicht. Wir sollten
in ein anderes Gefängnis geschickt werden. Ich sagte ihm, ich wäre jemand
anderes als die andern Lebenslänglichen, ich hätte nur meine Frau umgebracht
und die hätte es verdient und ich wollte mit gegen die Yankees gehen. Der Mann
verstand, wie ich die Sache ansah, und ließ mich mit den anderen Gefangenen
hinaus.«
Er machte
eine Pause und grunzte.
»Richtig
komisch. Sie haben mich eingesteckt, weil ich jemand umgebracht habe, und sie
ließen mich wieder heraus, mit einem Gewehr und meiner Begnadigung, damit ich
noch mehr umbrächte. Wir aus Milledgeville haben gut gekämpft und gemordet, und
viele von uns sind gefallen. Ich habe keinen gekannt, der desertiert ist. Und
bei der Kapitulation wurden wir frei. Ich habe dies Bein hier und das eine Auge
verloren. Aber ich bereue es nicht.«
»Ach«,
sagte Scarlett matt.
Sie suchte
sich daran zu erinnern, was sie damals, als die letzten verzweifelten
Anstrengungen gemacht wurden, Shermans Armee standzuhalten, von der Freilassung
der Sträflinge aus Milledgeville gehört hatte. Frank hatte Weihnachten 1864
davon gesprochen. Was hatte er doch gesagt?
Aber ihre
Erinnerungen an jene Zeiten gingen wirr durcheinander. Wieder empfand sie die
wilde Angst jener Tage, hörte die Kanonen der Belagerer, sah Wagen auf Wagen
bluttriefend über die rote Landstraße fahren, sah die Landwehr ausmarschieren,
die kleinen Kadetten und Knaben wie Phil Meade und die Greise wie Onkel Henry
und Großpapa Merriwether. Auch die Sträflinge waren ausmarschiert, um im
Untergang der Konföderierten mitzufallen und in Schnee und Hagel zu erfrieren,
während jenes letzten Feldzuges nach Tennessee.
Einen
kurzen Augenblick dachte sie, wie dumm es doch von diesem Alten gewesen sei,
für einen Staat zu kämpfen, der ihm vierzig Lebensjahre genommen hatte. Georgia
hatte ihm seine Jugend und seine Mannesjahre genommen um eines Verbrechens
willen, das für ihn kein Verbrechen war, und doch hatte er für Georgia
freiwillig sein Bein und sein Auge hingegeben. Die bitteren Worte, die Rhett am
Anfang des Krieges sagte, fielen ihr wieder ein: er wolle nicht für eine
Gesellschaft kämpfen, die ihn ausgestoßen habe. Aber als die Not am höchsten
stieg, war er doch für diese Gesellschaft in den Kampf gezogen, genau wie
Archie. Alle diese Männer aus dem Süden, ob hoch, ob niedrig, kamen ihr vor wie
gefühlsselige Narren, die weniger um ihre heile Haut gaben als um große Worte,
die nichts bedeuteten.
Ihre Augen
fielen auf Archies sehnige Hände, seine beiden Pistolen und sein Messer, und
wieder packte sie die Angst. Liefen noch mehr solcher früheren Sträflinge frei
herum wie er, Diebe, Desperados, Mörder, denen im Namen der Konföderation ihre
Verbrechen verziehen waren? Jeder Fremde auf der Straße konnte dann ja ein
Mörder sein. Wenn Frank je die Wahrheit über Archie erfuhr, war der Teufel los.
Tante Pitty gar würde vor Schreck tot umfallen, und Melanie - fast wünschte
Scarlett, ihr die Wahrheit über Archie zu sagen. Das geschähe ihr ganz recht.
Was brauchte sie solch Gesindel aufzulesen und ihren Freunden und Verwandten
anzuhängen?
»Nun ...
es ... es freut mich, daß Sie mir das gesagt haben, Archie. Ich sage es
niemandem weiter. Für Mrs. Wilkes und die anderen Damen wäre es furchtbar, wenn
sie es erführen.«
»Pah! Miß
Wilkes weiß es. Ich habe es ihr an dem Abend gesagt, als ich zuerst in ihrem
Keller schlafen durfte. Sie meinen doch nicht etwa, ich ließe mich von einer
Dame wie sie ins Haus aufnehmen, ohne es ihr zu sagen?«
Scarlett
war sprachlos. Melanie wußte, daß dieser Mann ein Mörder war, ein Frauenmörder,
und hatte ihm nicht die Tür gewiesen? Sie hatte ihm ihren Jungen, ihre Tante,
ihre Schwägerin und all ihre
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