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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Schmerz ihr
Gesellschaft geleistet, sie hätte ihn ertragen, wie sie schon andere Schmerzen
ertragen hatte. Aber zu dem betäubenden Gefühl des Verlustes traten Angst und
Reue und die Qual des plötzlich erwachten Gewissens. Zum erstenmal in ihrem
Leben bereute sie etwas, was sie getan hatte, und sie warf in abergläubischer
Angst bange Seitenblicke nach dem Bett, in dem sie mit Frank gelegen hatte.
    Sie hatte
Frank umgebracht, so gewiß, als hätte sie mit eigener Hand das Gewehr
abgedrückt. Er hatte sie gebeten, nicht allein herumzufahren, aber sie hatte
nicht auf ihn gehört, und nun hatte ihr Eigensinn ihn das Leben gekostet. Dafür
mußte Gott sie bestrafen. Aber etwas anderes noch lag ihr schwerer und banger
auf dem Gewissen als sein Tod - etwas, was sie nie angefochten hatte, bis sie
ihn im Sarge liegen sah. Sein totes Antlitz hatte etwas rührend Hilfloses
gehabt, das sie anklagte. Gott strafte sie sicher dafür, daß sie ihn geheiratet
hatte, wo er doch Suellen liebte. Einst würde sie sich vor dem Richterstuhl
dafür zu verantworten haben, daß sie ihn damals in seinem Wagen auf dem Rückweg
vom Yankeelager mit einer Lüge gewonnen hatte.
    Vergebens
suchte sie sich jetzt damit zu rechtfertigen, daß der Zweck das Mittel heilige,
daß sie dazu gezwungen gewesen sei, ihn zu betrügen, weil zu viele
Menschenschicksale von ihr abgehangen hätten. Schonungslos stand die Wahrheit
vor ihr. Kalten Blutes hatte sie ihn geheiratet und für ihre Zwecke ausgenutzt,
und in den letzten sechs Monaten, in denen sie ihn hätte sehr glücklich machen
können, hatte sie ihn unglücklich gemacht. Nun wurde sie dafür gestraft, daß
sie ihre Herrschsucht, ihre Sticheleien, ihren Jähzorn und ihren Eigensinn an
ihm ausgelassen hatte, daß sie gegen seinen Willen die Mühlen betrieben und die
Kneipe gebaut, die Sträflinge angestellt und alle seine Freunde verscheucht und
ihn in Unehre gebracht hatte.
    Sie hatte
ihn sehenden Auges tiefunglücklich gemacht, und er hatte als Gentleman alles
ertragen. Nur einmal hatte sie ihn wirklich beglückt, als sie ihm Ella
geschenkt hatte. Und doch wußte sie, daß Ella nie geboren wäre, wenn sie es
hätte verhindern können.
    Ihr
schauderte. Was hätte sie nicht darum gegeben, daß Frank noch lebte und sie
lieb und gut zu ihm sein könnte, um alles wiedergutzumachen. Ach, wäre Gott nur
nicht lauter Zorn und Rache! Schliche die Zeit doch nicht so, wäre das Haus nur
nicht so still! Ach, und wäre sie doch nicht so allein!
    Wäre nur
Melanie bei ihr, Melanie könnte sie beruhigen. Aber Melanie war zu Hause und
pflegte Ashley. Einen Augenblick dachte Scarlett daran, Pittypat zu rufen, aber
sie konnte sich nicht dazu entschließen. Pitty machte wahrscheinlich alles noch
viel schlimmer, denn sie betrauerte Frank aufrichtig. Er hatte ihr im Alter
näher gestanden als seiner Frau. Sie hatte ihn liebgehabt. Er hatte Pittys
Bedürfnis nach »einem Mann im Haus« in vollendeter Weise befriedigt, hatte ihr
kleine Geschenke und harmlosen Klatsch, Witze und Geschichten mit nach Hause
gebracht, hatte ihr abends die Zeitung vorgelesen und ihr die Tagesfragen
erklärt, während sie seine Socken stopfte. Sie hatte ihn gehegt und gepflegt,
sie hatte sich besondere Gerichte für ihn ausgedacht und sich seiner während
seiner ewigen Erkältungen mit rührender Zärtlichkeit angenommen. Nun vermißte
sie ihn bitter und sagte immer wieder, während sie sich die rotgeschwollenen
Augen trocknete: »Wäre er doch nur nicht zum Klan gegangen!«
    Wäre doch
nur irgend jemand da, der sie trösten und ihre Ängste beschwichtigen, der ihr
nur ein wenig dies verworrene Grauen erklären könnte, bei dem ihr so elend und
kalt und schwer ums Herz war! Wäre nur Ashley ... aber auch davor graute ihr.
Fast hätte sie auch Ashley umgebracht, wie Frank. Und wenn Ashley je erfuhr,
wie sie Frank belogen hatte, um ihn einzufangen, und wie gemein sie gegen Frank
gewesen war, so konnte er sie überhaupt nicht mehr lieben. Ashley war
ehrenhaft, wahrhaft und gütig, sein Blick war klar und unbestechlich. Wüßte er
die ganze Wahrheit, so würde er sie verstehen. O ja, nur allzugut! Aber lieben
konnte er sie dann nicht mehr. Deshalb durfte er die Wahrheit nie erfahren, er
durfte ja nicht aufhören, sie zu lieben. Wie sollte sie denn weiterleben
können, wenn seine Liebe, die geheime Quelle ihrer Kraft, ihr genommen würde?
Aber was für ein Trost wäre es, ihm den Kopf an die Schulter zu legen und sich
auszuweinen und die drückende

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