Margaret Mitchell
gewesen? Gelegentlich hatte sie Ashley freiheraus die Meinung gesagt. Dies
und ihre urwüchsige Freude am Reiten und Laufen hatten ihn ihr womöglich
entfremdet und der zarten Melanie in die Arme getrieben. Sollte sie ihre Taktik
ändern? Aber wenn Ashley auf solch berechnendes Getue hereinfiel, dann könnte
sie ihn nie mehr so achten wie bisher, das fühlte sie deutlich. Ein Mann, der
dumm genug war, auf gezierte Einfalt, auf Ohnmächten und Schmeicheleien
hereinzufallen, war der Mühe nicht wert.
Aber sie
waren wohl alle so. Wenn sie es früher bei Ashley falsch angefangen hatte, so
mußte sie es eben nun anders versuchen. Sie wollte ihn haben, und es blieben
ihr nur wenige Stunden, ihn zu gewinnen. Wenn er Wert auf eine wahre oder
gespielte Ohnmacht legte, dann wollte sie schon in Ohnmacht fallen. Wenn eine
Piepsstimme, ein bißchen Koketterie und ein Spatzenhirn ihn anzogen, so wollte
sie schon die Naive spielen und noch hohlköpfiger tun als Cathleen Calvert
Sollten aber kühnere Maßnahmen nötig werden, so wollte sie auch die ergreifen. Heute
kam es darauf an!
Es gab
niemanden, der Scarlett sagte, daß ihre eigene beängstigend lebensfrische
kleine Person anziehender war als jede Maske, die sie sich anlegen konnte.
Härte es ihr jemand gesagt, sie hätte sich gefreut, es aber schwerlich
geglaubt, und auch die Gesellschaft, der sie angehörte, wäre ungläubig gewesen,
denn zu keiner Zeit vorher oder nachher hat weibliche Natürlichkeit so wenig
gegolten wie damals.
Als der
Wagen sie dann die rote Landstraße entlang zur Wilkesschen Plantage brachte,
empfand Scarlett eine fast schuldbewußte Freude, daß weder ihre Mutter noch
Mammy mitfuhren. Auf der Gesellschaft würde also niemand sein, der mit
unmerklich gerunzelten Brauen oder vorgestülpter Unterlippe in ihre Pläne
eingreifen konnte. Zwar würde Suellen natürlich morgen ausplaudern, aber wenn
alles so ging, wie Scarlett hoffte, mußte die Aufregung der Familie über ihre
Verlobung mit Ashley, oder gar ihre Entführung, den Unwillen bei weitem
überwiegen. Ja, sie war froh, daß Ellen zu Hause unabkömmlich war.
Gerald
hatte am selben Morgen Jonas Wilkerson entlassen, und Ellen war in Tara
geblieben, um vor seinem Weggang die Abrechnungen mit ihm durchzugehen.
Scarlett hatte ihrer Mutter in dem kleinen Schreibzimmer den Abschiedskuß
gegeben, wo sie vor dem hohen alten Sekretär mit seinen von Papier
überquellenden Fächern saß. Jonas Wilkerson stand neben ihr, den Hut in der
Hand. Das bleiche Gesicht mit der schlaffen Haut verhüllte kaum den wütenden
Haß, der ihn erfüllte, seitdem er ohne weiteres aus der besten Aufseherstellung
in der Provinz hinausgeworfen worden war, und das alles wegen ein bißchen
Liebelei. Er hatte Gerald wieder und wieder gesagt, daß Emmie Slatterys Kind
ebensogut einen anderen unter einem Dutzend Männern zum Vater haben könnte -
ein Gedanke, den Gerald wohl teilte; aber das hatte die Sachlage in Ellens
Augen nicht geändert. Jonas haßte alle Südstaatler. Ihre kühle Höflichkeit, die
ihre Verachtung für seinen Stand nur unzulänglich verbarg, war ihm
unerträglich. Mehr als alle anderen haßte er Ellen O'Hara, denn sie war der
Inbegriff alles dessen, was ihm in diesem Lande zuwider war.
Mammy war
als Frauenaufseherin der Plantage zu Hause geblieben, um Ellen zu helfen, und
statt ihrer saß Dilcey auf dem Kutschbock neben Toby. Die Ballkleider der
Mädchen lagen in einer langen Pappschachtel quer über ihren Knien. Gerald ritt
auf seinem schweren Jagdpferd neben dem Wagen, noch ein bißchen branntweinselig
und sehr mit sich zufrieden, daß er so im Handumdrehen mit Wilkersons unerfreulicher
Geschichte fertig geworden war. Die Verantwortung hatte er auf Ellen
abgeschoben; an ihre Enttäuschung, daß sie auf der Gesellschaft nicht mit ihren
Freunden zusammen sein konnte, dachte er nicht. Es war ein schöner
Frühlingstag, seine Felder standen prachtvoll, die Vögel sangen, und er fühlte
sich so jung und zu tausend Spaßen aufgelegt, daß er unmöglich an anderes
denken konnte. Hin und wieder stimmte er »Peggy in der kleinen Chaise« oder
andere irische Liedchen an, auch wohl die düstere Klage um Robert Emmet:
»Sie ist
fern von dem Land, wo ihr junger Held ruht«. Er war glücklich und freudig
erregt bei der Aussicht, den Tag in lauter, geräuschvoller Entrüstung über die
Yankees und den Krieg zubringen zu können; er war stolz auf seine drei hübschen
Töchter in ihren faltigen Reifröcken unter ihren
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