Margaret Mitchell
närrisch kleinen
spitzenbesetzten Sonnenschirmen. An seine Unterhaltung mit Scarlett vom Tage
zuvor dachte er nicht mehr, sie war seinem Gedächtnis vollkommen entschwunden.
Sein einziger Gedanke war, daß Scarlett hübsch war und ihm viel Ehre machte und
daß ihre Augen heute so grün wie die Hügel Irlands waren. Dieser Einfall
erhöhte sein Selbstgefühl, denn es lag etwas wie ein Vollklang von Poesie
darin, und so beehrte er denn seine Mädchen mit einer lauten und nicht ganz
reinen Wiedergabe von »Hab' ich das grüne Kleidchen an ...«
Scarlett
betrachtete ihn mit jener liebevollen Geringschätzung, die Mütter für ihre
kleinen großtuerischen Söhne empfinden, und wußte, daß er bei Sonnenuntergang
schwer betrunken sein würde. Bei der Heimkehr im Dunkeln versuchte er sicher,
wie gewöhnlich, über jeden Zaun zwischen Twelve Oaks und Tara zu springen, und
hoffentlich würde er sich dank besonderer Gnade der Vorsehung und dem gesunden
Verstand seines Pferdes auch diesmal wieder nicht den Hals brechen. Die Brücke
würde er verschmähen und zu Pferde durch den Fluß schwimmen und dann grölend
nach Hause kommen und auf dem Sofa im Büro von Pork zu Bert gebracht werden,
der bei solchen Gelegenheiten immer vorn in der Halle bei einer Lampe wachte.
Sicher verdarb er sich den neuen grauen Tuchanzug, weswegen er anderntags dann
gräßlich fluchen und Ellen lang und breit erzählen würde, wie sein Pferd im
Dunkeln von der Brücke heruntergefallen sei - eine grobe Lüge, mit der er
niemandem ein X für ein U vormachen konnte, die aber natürlich von allen
hingenommen wurde. Er kam sich dann sehr schlau vor.
Pa ist ein
goldiger, selbstsüchtiger, leichtsinniger lieber Kerl, dachte Scarlett in
aufwallender kindlicher Liebe. So aufgeregt und glücklich war sie heute morgen,
daß sie mit Gerald zugleich die ganze Welt liebhatte. Sie war hübsch und wußte
es genau. Ehe der Tag verging, war Ashley ihr eigen. Die Sonne schien warm und
freundlich, und die Herrlichkeit des georgianischen Frühlings lag ausgebreitet vor
ihren Augen. Am Rande der Straße verhüllten Brombeerranken mit zartestem Grün
die roten Rinnen, die der Winterregen in den Abhang gerissen hatte, und die
nackten Granitblöcke, die aus der roten Erde hervorragten, waren überwachsen
von wilden Rosen und übersponnen vom zartesten Blau der Veilchen. Die
bewaldeten Hügel über dem Fluß waren von schimmernden weißen Ligusterblüten
gekrönt, es sah aus, als läge noch später Schnee zwischen all dem Grün. An den
wilden Apfelbäumen waren die Knospen aufgesprungen, eine Schwelgerei vom
zartesten Weiß bis zum tiefsten Rosenrot, und unter den Bäumen, wo die Sonne
auf abgefallenen Tannennadeln spielte, breitete wilder Jelängerjelieber einen
bunten Teppich in Rot, Orange und Rosa aus. Ein frischer, schwacher Wohlgeruch
von saftigem Grün kam mit dem leichten Wind, die Welt duftete berauschend.
»Wie schön
ist es heute! Das werde ich im ganzen Leben nicht vergessen«, dachte Scarlett.
»Vielleicht wird es mein Hochzeitstag!« Und klingend ging es ihr durch Herz und
Sinn, wie sie und Ashley vielleicht heute nachmittag durch diese Blütenpracht
und all dies frische Grün geschwind dahinfliegen würden, vielleicht gar heute
nacht bei Mondenschein nach Jonesboro zu einem Pfarrer. Natürlich mußten sie
von einem Priester in Atlanta noch einmal getraut werden, aber darüber mochten
Ellen und Gerald sich den Kopf zerbrechen. Sie zagte ein wenig bei dem
Gedanken, wie Ellen vor Scham erbleichen würde, wenn sie hörte, daß ihre
Tochter mit dem Verlobten eines anderen Mädchens durchgegangen sei, aber sie
wußte, Ellen würde ihr verzeihen, wenn sie ihr Glück sah. Gerald würde schelten
und fluchen, aber trotz all seiner Schwüre, daß er eine Heirat zwischen ihr und
Ashley nicht zuließe, würde er sich doch über eine Verbindung zwischen beiden
Familien unsagbar freuen.
»Aber
darüber können sie sich noch genug den Kopf zerbrechen, wenn ich erst
verheiratet bin«, dachte sie und schob die störenden Gedanken von sich. Im
Sonnenschein eines solchen Frühlings, noch dazu, wenn man gerade die
Schornsteine von Twelve Oaks auf dem Hügel am anderen Ufer zum Vorschein kommen
sah, konnte man nur vor Freude erbeben!
»Dort
werde ich nun mein ganzes Leben wohnen und noch fünfzigmal und öfter solchen
Frühling sehen und meinen Kindern und Enkeln erzählen, wie herrlich dieser
Frühling war, so schön, wie sie niemals einen erleben werden.« Bei
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