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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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»Bändige sie, aber brich nicht ihren Willen«, war
Mrs. Tarletons Leitspruch.
    Sie liebte
Pferde und sprach beständig von ihnen. Sie verstand und behandelte sie besser,
als alle Männer in der Provinz es konnten. Auf der Koppel wimmelte es von
Fohlen bis hinauf zum Parkrasen, wie auch das weitläufige Haus auf dem Hügel zu
eng für ihre acht Kinder war. Stets liefen Füllen, Söhne, Töchter und Jagdhunde
hinter ihr her, wenn sie über die Plantage ging. Ihren Pferden, namentlich
ihrer roten Stute Nellie, traute sie menschlichen Verstand zu, und wenn der
Haushalt sie über die Stunde hinaus festhielt, auf die sie ihren täglichen Ritt
angesetzt hatte, drückte sie dem ersten besten kleinen Negerjungen die
Zuckerschale in die Hand und sagte: »Gib Nellie eine Handvoll und sag ihr, ich
käme gleich.«
    Fast immer
war sie im Reitkleid, ob sie ritt oder nicht, jedenfalls war sie immer im
Begriff zu reiten und zog deshalb das Reitkleid gleich früh beim Aufstehen an.
Jeden Morgen, ob bei Regen oder Sonnenschein, wurde Nellie gesattelt und vor
dem Hause auf und ab geführt in Erwartung des Augenblicks, da Mrs. Tarleton
ihren Pflichten eine Stunde absparen konnte. Fairhill war eine schwer zu
bewirtschaftende Plantage, und deshalb gab es nur selten eine Mußestunde, und
Nellie wurde oft stundenlang im Schritt auf und ab geführt, während Beatrice
Tarleton ihre Tagesarbeit verrichtete, den Reifrock geistesabwesend über dem
Arm tragend, so daß darunter ein langes Stück von den blanken hohen Stiefeln
zum Vorschein kam.
    Heute war
sie in matter schwarzer Seide mit ganz unmodern engem Reifrock. Es sah immer
noch aus, als hätte sie ihr Reitkleid an; denn die Taille war ebenso streng
geschnitten, und der kleine schwarze Hut mit der langen schwarzen
Straußenfeder, der schräg über den warmherzigen, zwinkernden braunen Augen saß,
war der Zwillingsbruder des abgetragenen alten Hutes, den sie zur Hetzjagd
trug.
    Sie
schwenkte die Peitsche, als sie Gerald erblickte, und ließ ihre tänzelnden
Rotfüchse halten. Die vier Mädchen hinten im Wagen lehnten sich mit so lautem
Gruß heraus, daß die Pferde ängstlich stiegen. Einem zufälligen Beobachter
mochte es vorkommen, als seien Jahre vergangen und nicht erst zwei Tage, seit
Tarletons und O'Haras einander gesehen hatten. Tarletons waren eine gesellige
Familie und hatten ihre Nachbarn gern, besonders die O'Haraschen Mädels. Das
heißt: Suellen und Carreen. Kein Mädchen aus der Provinz, mit Ausnahme
vielleicht der spatzenhirnigen Cathleen Calvert, hatte wirklich etwas für
Scarlett über.
    Im Sommer
gab es in der Provinz durchschnittlich einmal wöchentlich einen Ball und ein
Gartenfest. Trotzdem fanden die rothaarigen Tarletonmädchen mit ihrer
unersättlichen Genußsucht jedes neue Gartenfest und jeden neuen Ball so
aufregend, als wäre es der erste in ihrem Leben. Es war ein hübsches, munteres
Quartett, welches so eng zusammengedrängt im Wagen saß, daß die Reifröcke mit
ihren Rüschen über den Wagen hinaushingen und die Sonnenschirme leise aneinanderstießen
über den breiten Florentiner Hüten mit ihren Rosen und hängenden Kinnbändern
aus schwarzem Samt. Unter den Hüten waren alle Schattierungen roten Haares
vertreten, bei Hetty ein volles reines Rot, bei Camilla ein erdbeerfarbenes
Blond, Randas Haare leuchteten kupferbraun und die der kleinen Betsy gelbrot
wie Karotten.
    »Das ist
eine schöne Schar, gnädige Frau«, sagte Gerald galant und brachte sein Pferd
neben dem Wagen zum Stehen. »Aber keine ist so schön wie die Mutter.«
    Mrs.
Tarleton rollte die rotbraunen Augen und zog in drolliger Würdigung dieses
Kompliments die Unterlippe an, und die Mädchen riefen:
    »Ma, keine
schönen Augen machen, oder wir sagen es Pa!« und »Ich versichere Ihnen, Mr.
O'Hara, wenn ein hübscher Mann auftaucht wie Sie, schnappt sie ihn uns allen
weg!«
    Scarlett
lachte mit den anderen über die lustigen Worte und war doch, wie immer, von der
freien Art befremdet, in der die Tarletons mit ihrer Mutter umgingen, ganz als
wäre sie ihresgleichen und nicht einen Tag älter als sechzehn. Schon der
Gedanke, so etwas zu ihrer eigenen Mutter zu sagen, erschien Scarlett fast wie
eine Lästerung. Und doch hatten die Beziehungen der Tarletonschen Töchter zu
ihrer Mutter etwas sehr Reizvolles, denn bei allem, was sie an ihr auszusetzen,
zu schelten und zu necken fanden, beteten sie sie an. Nicht, daß Scarlett, wie
sie sich schleunigst sagte, an Ellens Statt lieber eine Mutter wie

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