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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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auch nur die
Höflichkeit zu wahren. Denn immer und immer wieder mußte sie zugleich an Stuart
Tarleton denken. »Ich meine immer, schon ehe Mr. Kennedy erschossen wurde, muß
mehr zwischen ihr und diesem Butler vorgegangen sein, als die meisten denken.«
    Ehe die
Damen sich von ihrem Entsetzen über diese Bemerkung, nun gar aus dem Munde
einer Jungfrau, erholen konnten, stand Melanie auf der Schwelle. Sie waren so
vertieft in ihren Klatsch gewesen, daß sie Melanies leichte Schritte nicht
gehört hatten, und nun saßen sie vor ihrer Gastgeberin da wie Schulmädchen, die
der Lehrer beim Tuscheln ertappt. Jetzt kam zu all ihrer Entrüstung noch der
blasse Schreck, als sie Melanies verwandeltes Gesicht sahen. Ganz rot war sie
geworden in ihrem Zorn. Die sanften Augen sprühten Funken, und die Nasenlöcher
bebten. Niemand hatte Melanie je zornig gesehen. Keine der anwesenden Damen
hielt sie dessen überhaupt für fähig. Sie hatten sie alle lieb, aber sie
hielten sie für die denkbar sanfteste, gefügigste junge Frau, ganz Ehrerbietung
gegen Ältere und ohne jede eigene Meinung.
    »Wie
kannst du nur, India!« rief sie mit leiser, bebender Stimme.
    »Wohin soll die Eifersucht dich
noch treiben? Schäme dich!« India wurde blaß und hob stolz den Kopf.
    »Ich nehme
nichts zurück«, sagte sie kurz, und innerlich kochte sie.
    Ich
eifersüchtig? - dachte sie bei sich. Mit Stuart Tarleton, mit Honey und Charles
im Gedächtnis hatte sie wohl guten Grund, auf Scarlett eifersüchtig zu sein,
guten Grund, sie zu hassen, besonders seitdem sie Scarlett im Verdacht hatte,
daß sie auch noch Ashley irgendwie in ihre Netze verstrickt habe. Ich könnte
dir allerlei über Ashley und deine treue Scarlett erzählen, dachte sie und
erwog mit zerrissenem Herzen, ob sie Ashley lieber durch Stillschweigen schonen
oder vor Melly und aller Welt gewaltsam bloßstellen sollte. Dann mußte Scarlett
ihn wohl oder übel freigeben. Aber jetzt war es noch nicht an der Zeit. Sie
hatte keine Beweise, nur ihren Argwohn.
    »Ich nehme
nichts zurück«, wiederholte sie.
    »Dann
trifft es sich gut, daß du nicht mehr bei mir im Hause lebst«, sagte Melanie in
eisigem Ton.
    India
sprang auf, das Blut schoß ihr in das kränkliche Gesicht.
    »Melanie,
du ... meine Schwägerin ... du willst doch nicht mit mir Streit anfangen wegen
dieser schamlosen Person ... «
    »Scarlett
ist gleichfalls meine Schwägerin«, erwiderte Melanie und blickte India kühl in
die Augen, als wären sie einander völlig fremd, »und steht mir näher als eine
leibhaftige Schwester. Du scheinst vergessen zu haben, wieviel ich ihr verdanke.
Ich aber habe es nicht vergessen. Sie hat mir während der ganzen Belagerung zur
Seite gestanden, als sogar Tante Pitty nach Macon geflohen war, und auch sie
hätte nach Hause gehen können. Sie hat mir mein Kind geholt, als die Yankees
schon beinahe in Atlanta waren, und die Mühe nicht gescheut, mich und Beau
damals auf der furchtbaren Fahrt nach Tara mitzunehmen, obwohl sie uns
ebensogut hier in einem Lazarett hätte den Yankees in die Hände fallen lassen
können. Sie hat mich gepflegt und gefüttert, auch wenn sie müde war und selber
Hunger leiden mußte. Weil ich krank und schwach war, hatte ich auf Tara die
beste Matratze. Als ich wieder gehen konnte, bekam ich das einzige Paar heile
Schuhe im Hause. Du kannst vergessen, India, was sie für mich getan hat, ich
aber nicht. Und als Ashley krank und zermürbt nach Hause kam und kein Heim
hatte und keinen Cent in der Tasche, hat sie ihn aufgenommen wie eine
Schwester. Und als wir dachten, wir müßten nach dem Norden, und uns das Herz
brach, weil wir Georgia verlassen sollten, sprang Scarlett ein und gab ihm die
Leitung der Mühle. Und Kapitän Butler hat Ashley aus lauter Herzensgüte das
Leben gerettet, obwohl Ashley ganz gewiß nichts von ihm zu erwarten hatte.
Deshalb bin ich Scarlett und Butler dankbar, ja, sehr dankbar. Du aber, India,
wie kannst du vergessen, was Ashley und ich Scarlett schuldig sind? Wie kannst
du das Leben deines Bruders so gering achten, daß du die Ehre seines Retters
antastest! Auf die Knie sinken solltest du vor Scarlett und Kapitän Butler und
tätest ihnen damit noch lange nicht genug!«
    »Nun hör
aber mal, Melly!« Mrs. Merriwether hatte sich wieder gesammelt. »So darfst du
nicht mit India sprechen.«
    »Was Sie
über Scarlett gesagt haben, habe ich gleichfalls gehört«, Melanie fuhr herum
und über die beleibte alte Dame her mit der Miene eines Fechters, der

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