Margaret Mitchell
Augen abzulesen, daß es ihr ebenso ging. Sie zahlte
die Fahrer und Hugh aus, ließ sie dann stehen und wendete sich dem Kontor zu.
Auf Begleitung legte sie sichtlich keinen Wert. Ashley kam ihr vor der Tür entgegen
und stand mit seinem hellen Haar in der Nachmittagssonne, auf den Lippen ein
feines, fast spöttisches Lächeln.
»Aber
Scarlett, was machst du denn zu dieser Tageszeit hier? Warum bist du nicht bei
mir zu Hause und hilfst Melly die Überraschungen vorbereiten?«
»Ashley,
was höre ich! Du darfst doch nichts davon wissen! Melly wird schrecklich
enttäuscht sein, wenn du nicht überrascht bist.«
»Oh, das
soll mir niemand anmerken. So überrascht, wie ich heute abend bin, ist noch
niemand in Atlanta gewesen«, versetzte Ashley mit lachenden Augen.
»Sag
einmal, wer war so gemein, es dir zu verraten?«
»So
ziemlich jeder, den Melly eingeladen hat. General Gordon war der erste. Er
sagte, seiner Erfahrung nach gäben die Frauen immer gerade dann eine Überraschungsgesellschaft,
wenn man sich für den Abend vorgenommen habe, sämtliche Gewehre im Haus zu
putzen. Alsdann hat Großpapa Merriwether mich gewarnt. Er erzählte, Mrs.
Merriwether habe ihm einmal überraschenderweise Gäste eingeladen und sei selbst
am meisten überrascht gewesen, weil Großpapa sich insgeheim sein Rheuma mit
einer Flasche Whisky habe kurieren wollen und zu betrunken war, um sich
außerhalb des Bettes blicken zu lassen. Oh, alle Männer, die einmal selber so
etwas durchgemacht haben, haben mich gewarnt!«
»Diese
gemeinen Kerle!«
Scarlett
mußte aber doch lachen.
Wenn er so
lächelte, war er wieder der alte Ashley, den sie auf Twelve Oaks gekannt hatte.
Die Luft war lau, die Sonne schien milde. Ashley sah so froh aus und sprach so
ungezwungen, daß das Herz ihr vor Glück hüpfte. Es schwoll ihr in der Brust,
bis es sie vor lauter heißen ungeweinten Freudentränen schmerzte. Auf einmal
war sie wieder sechzehn Jahre alt und glücklich und atemlos vor Erregung. Sie
verspürte den tollen Drang, sich den Hut vom Kopf zu reißen und ihn mit
Jubelgeschrei in die Luft zu werfen. Dann überlegte sie sich, wie Ashley
darüber wohl erschrecken würde. Und plötzlich mußte sie lachen, und sie lachte
laut heraus, bis ihr die Tränen kamen. Er aber stimmte von Herzen in ihr
Gelächter ein, denn er meinte, sie lache über die freundschaftliche Verräterei
der Herren, die Melanies Geheimnis ausgeplaudert hatten.
»Komm
herein, Scarlett, ich bin gerade bei den Büchern.«
Sie trat
in das kleine Stübchen, das in der Nachmittagshitze glühte, und setzte sich vor
den Schreibtisch. Ashley folgte ihr und ließ sich auf der Kante des Tisches
nieder, seine langen Beine baumelten lässig herunter.
»Ach, wir
wollen uns heute nachmittag nicht mit den Büchern plagen, Ashley, ich habe
einfach keine Lust. Wenn ich einen neuen Hut aufhabe, ist mir, als seien mir
alle Zahlen aus dem Kopf geflogen.«
»Wenn der
Hut so hübsch ist wie dieser, können auch mir alle Zahlen gestohlen bleiben«,
versetzte er. »Scarlett, du wirst jedesmal hübscher.«
Er faßte
sie lächelnd bei beiden Händen und breitete ihre Arme ganz weit aus, um ihr
Kleid sehen zu können. »Du bist zu hübsch! Und du wirst wohl überhaupt nicht
älter.«
Auf einmal
wurde ihr klar, daß sie, ohne es zu wissen, sich gerade dies gewünscht hatte.
Den ganzen frohen Nachmittag hatte sie sich nach der Wärme seiner Hände
gesehnt, nach der Zärtlichkeit seiner Augen und nach einem Wort, das sein
Gefühl verriet. Heute waren sie zum erstenmal seit jenem kalten Tage im
Obstgarten von Tara wieder ganz allein, zum erstenmal begegneten sich ihre
Hände anders als gesellschaftlich.
All die
langen Monate hatte sie nach einer wärmeren Berührung gelechzt, aber jetzt ...
Sonderbar,
daß die Berührung seiner Hände sie nicht erregte. Sonst war sie bei seiner
bloßen Nähe schon erbebt. Jetzt empfand sie nur eine merkwürdige Wärme von
Freundschaft und Zufriedenheit. Kein Fieber sprang aus seinen Händen in die
ihren über; in ihnen kam ihr Herz zu glückseliger Ruhe. Das war ihr rätselhaft
und verwirrend. War er denn nicht immer noch ihr Ashley, ihr strahlender
sonniger Geliebter?
Aber sie
schlug sich diesen Gedanken aus dem Kopf. Es genügte ihr, daß sie bei ihm war
und er sie bei den Händen hielt und lächelte, ganz freundschaftlich, ohne
Fieber und ohne Zwang. Wie seltsam, daß dies möglich war, da doch so viel
Ungesagtes zwischen ihnen schwebte. Er lächelte, als wären sie
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