Margaret Mitchell
Melanie soviel mit ihm anzufangen wußte,
war selbstverständlich, daß sie nur dieses eine Kind hatte und sich nicht hatte
sorgen und schinden müssen wie Scarlett. Wenigstens versuchte Scarlett es sich
so zu erklären. Dennoch war sie ehrlich genug, sich einzugestehen, daß Melanie
Kinder sehr liebhatte und mit Freuden ein Dutzend zur Welt gebracht hätte.
Jetzt überschüttete sie Wade und die Nachbarskinder mit ihrem Überschuß an
Mutterliebe.
Scarlett
konnte nie vergessen, wie sie eines Tages erschrak, als sie bei Melanie
vorfuhr, um Wade abzuholen, und schon in der Einfahrt ihres Sohnes Stimme einen
durchaus überzeugend klingenden Rebellenruf ausstoßen hörte - Wade, der zu
Hause immer nur mäuschenstill war! -, mannhaft unterstützt von Beaus schrillem
Kriegsgeschrei. Als sie ins Wohnzimmer kam, gingen die beiden gerade mit
Holzschwertern auf das Sofa los und hielten verlegen inne, als sie sie gewahr
wurden. Hinter dem Sofa aber war lachend, nach ihren Haarnadeln und fliegenden
Löckchen greifend, Melanie aufgetaucht.
»Hier ist
Gettysburg«, erklärte sie, »ich bin der Yankee, und es ist mir elend schlecht
gegangen. Dies ist General Lee«, sie wies auf Beau, »und dies General Pickett«,
damit legte sie Wade den Arm um die Schulter.
Ja,
Melanie hatte eine Art, mit Kindern umzugehen, die Scarlett nie begreifen
konnte.
»Wenigstens
Bonnie hat mich lieb«, dachte sie bei sich, »und spielt gern mit mir.« Aber sie
konnte sich nicht verhehlen, daß Bonnie ihr bei weitem Rhett vorzog. Vielleicht
sah sie Bonnie überhaupt niemals wieder! Rhett konnte für immer nach Persien
oder Ägypten gefahren sein, sie hatte keine Ahnung, wo er steckte.
Als Dr.
Meade ihr sagte, sie wäre schwanger, war sie sehr erstaunt. Sie hatte sich ihr
Befinden aus Stoffwechselstörungen und überreizten Nerven erklärt. Dann aber
kam ihr plötzlich jene wilde Nacht in den Sinn, und sie wurde dunkelrot. Aus
jenen Augenblicken höchster Wonne, erwuchs also ein Kind! Zum erstenmal in
ihrem Leben freute sie sich auf ein Kind. Wenn es nur ein Junge würde! Ein
ganzer Kerl, nicht ein so zaghaftes Geschöpf wie Wade. Nun würde sie ja Muße
haben, sich ihm zu widmen, und Geld, um seinen Lebensweg zu ebnen. Nun wollte
sie glücklich sein! Sie war drauf und dran, Rhett unter der Adresse seiner
Mutter in Charleston die Neuigkeit zu schreiben. Jetzt sollte er nach Hause
kommen. Schrecklich, wenn er nun bis nach der Geburt des Kindes fortblieb! Wenn
sie ihm aber schrieb, dann würde er denken, sie habe Sehnsucht nach ihm, und
würde sich darüber lustig machen. Das ging nicht an, dergleichen durfte er
niemals denken.
Sie war
sehr froh, daß sie ihrem ersten Antrieb nicht gefolgt war, als sie durch einen
Brief von Tante Pauline aus Charleston zum erstenmal wieder von Rhett hörte. Er
war dort anscheinend bei seiner Mutter zu Besuch. Es war tröstlich, ihn noch in
den Vereinigten Staaten zu wissen, wenn auch Tante Paulines Brief sie in Wut
brachte. Rhett hatte sie und Tante Eulalie mit Bonnie besucht, und der Brief
war des Lobes voll.
»Was für
ein süßes Kind! Wenn sie erwachsen ist, wird sie sicher eine richtige
Schönheit. Aber wer ihr den Hof macht, bekommt es unweigerlich mit Kapitän
Butler zu tun. Einen so liebevollen Vater habe ich noch nicht gesehen. Kind,
ich muß Dir ein Geständnis machen. Ich hatte immer das Gefühl, Deine Heirat mit
ihm sei ein furchtbarer Mißgriff. In Charleston hörte man ja nicht viel Gutes
von ihm und hat das innigste Mitgefühl für seine Familie. Eulalie und ich, wir
wußten nicht einmal recht, ob wir ihn überhaupt empfangen sollten, aber
schließlich ist die liebe Kleine ja unsere Großnichte. Doch als Kapitän Butler
dann zu uns kam, waren wir auf das angenehmste überrascht und sahen ein, wie
unchristlich es ist, auf müßigen Klatsch zu hören. Er ist ja einfach charmant.
Wir finden ihn auch gut aussehend, und er macht einen gesetzten, ritterlichen
Eindruck und hängt so sehr an Dir und dem Kind.
Und nun,
meine Liebe, muß ich Dir etwas schreiben, was uns zu Ohren gekommen ist und was
Eulalie und ich durchaus nicht glauben wollten. Wir hatten gehört, Du
beschäftigtest Dich manchmal in einem Laden, den Mr. Kennedy Dir hinterlassen
hat, und haben es natürlich nicht geglaubt. Wir sehen ja ein, daß es sich
damals in den schrecklichen Nachkriegsjahren vielleicht nicht ganz vermeiden
ließ, jetzt aber liegt doch keinerlei Notwendigkeit dafür mehr vor! Kapitän
Butler befindet sich in sehr guten
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