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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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ihn reden und ihm nachsagen, er sei herzlos und böse und halte Scarlett
die Treue nicht, wo er doch hier vor ihren Augen abmagerte und die Qual ihm auf
dem Gesicht geschrieben stand? Trotz ihrer Müdigkeit versuchte sie, noch
freundlicher zu sein als sonst, wenn sie ihm aus dem Krankenzimmer berichtete.
Er sah aus wie eine verdammte Seele, die ihr Urteil erwartet, wie ein Kind in
einer plötzlich feindlich gewordenen Welt. Vor Melly freilich wurde mancher zum
Kind.
    Als sie
aber schließlich voller Freude an seine Tür kam, um ihm zu sagen, es ginge
Scarlett besser, sah sie etwas, worauf sie nicht gefaßt war. Auf dem Nachttisch
stand eine halbleere Whiskyflasche, und das Zimmer war von Schnapsgeruch
erfüllt. Er sah mit verglasten Augen zu ihr empor, seine Kiefer bebten trotz seiner
Anstrengung, die Zähne zusammenzubeißen.
    »Sie ist
tot?«
    »O nein,
es geht ihr viel besser.«
    Er sagte:
»Ach mein Gott«, und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Sie sah seine breiten
Schultern schaudern und beben, während sie ihn mitleidig betrachtete, und als
sie sah, daß er weinte, verwandelte sich ihr Erbarmen in Entsetzen. Melanie
hatte noch nie einen Mann weinen sehen, und nun weinte dieser überlegene,
spöttische Rhett, der in jedem Augenblick Herr seiner selbst war!
    Sein
verzweifeltes, ersticktes Schluchzen ängstigte sie. Ihr kam der entsetzliche
Gedanke, er sei am Ende betrunken. Vor Trunkenheit hatte Melanie Angst. Als er
den Kopf hob und sie seine Augen erblickte, kam sie eilig herein, zog leise die
Tür hinter sich zu und trat zu ihm. Einen Mann hatte sie noch nie weinen sehen,
aber sie hatte schon viele Kindertränen getrocknet. Als sie ihm die weiche Hand
auf die Schulter legte, schlangen sich seine Arme plötzlich um ihre Röcke. Ehe
sie sich's versah, saß sie auf seinem Bett, er aber lag auf dem Boden, mit dem
Kopf in ihrem Schoß, und hielt sie mit Armen und Händen krampfhaft umklammert,
bis es ihr weh tat.
    Sie
streichelte ihm sanft den schwarzen Kopf und sagte beschwichtigend: »Still,
still! Sie wird ja wieder gesund.«
    Bei ihren
Worten griff er noch fester zu und begann zu sprechen, rasch, heiser,
stammelnd, wie zu einem Grabe, das sein Geheimnis bewahrt. Zum erstenmal in
seinem Leben brach alles aus ihm hervor, und ohne Erbarmen entblößte er vor
Melanie sein ganzes Herz. Verständnislos, aber ganz mütterlich hörte sie ihm
zu. Er sprach in abgerissenen Sätzen, den Kopf in ihrem Schoß, und zerrte an
den Falten ihres Rockes. Zuweilen kamen die Worte verschwommen und gedämpft,
dann aber viel zu deutlich an ihr Ohr, harte bittere Worte, Bekenntnisse,
Selbsterniedrigungen, Dinge, die sie nicht einmal unter Frauen hatte nennen
hören, Geheimnisse, die ihr die Scham heiß in die Wangen trieben, wobei sie nur
dankbar war, daß er sie nicht sehen konnte.
    Sie
streichelte ihm den Kopf, als wäre es der kleine Beau, und sagte: »Still,
Kapitän Butler, das dürfen Sie mir nicht erzählen! Sie sind ja ganz außer sich.
Still!« Aber der wilde Wortschwall ergoß sich weiter, und er klammerte sich an
ihr Kleid, als sei es seine letzte Hoffnung.
    Er legte
sich Taten zur Last, von denen sie nichts verstand, undeutlich vernahm sie
dazwischen den Namen Belle Watlings; dann wieder schüttelte er sie gewaltsam
und schrie: »Ich habe Scarlett umgebracht, ich habe sie getötet! Das verstehen
Sie nicht. Sie wollte das Kind nicht ...«
    »Nun
schweigen Sie aber! Sie wissen nicht, was Sie sagen! Ein Kind nicht wollen?
Jede Frau will doch ...«
    »Nein,
nein! Sie wollen Kinder haben, aber Scarlett nicht, nicht von mir ... «
    »Seien Sie
still.«
    »Sie
verstehen das nicht. Sie wollte kein Kind, und ich habe dies ... dies Kind ...
alles ist meine Schuld! Wir hatten nicht miteinander geschlafen ...«
    »Seht,
Kapitän Butler! Das schickt sich doch nicht.«
    »Ich war
betrunken und von Sinnen und wollte ihr weh tun, weil sie mir weh getan hatte,
ich wollte ... und tat es auch ... aber sie wollte mich nicht. Sie hat mich nie
gewollt, und ich habe doch versucht ... ich habe mir solche Mühe gegeben, um
... «
    »Ach
bitte!«
    »Ach, ich
wußte von diesem Kinde gar nichts, bis neulich, als sie fiel. Sie wußte nicht,
wo ich war, und konnte es mir nicht schreiben ... Sie hätte es mir auch nicht
geschrieben, wenn sie es gewußt hätte. Ich sage Ihnen, ich wäre geradewegs nach
Hause gekommen, hätte ich nur gewußt, ob sie mich zu Hause haben wollte oder
nicht ... «
    »Ja, ja,
ich weiß, Sie wären

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