Margaret Mitchell
Scarlett gar nicht recht sein.«
Die Welt
war aus dem Gleichgewicht. Eine trostlose, beklemmende Verworrenheit drang von
allen Seiten wie ein dichter, finsterer Nebel vor und zog sich tückisch um
Scarlett zusammen. Diese Verworrenheit ihres ganzen Daseins ging ihr noch
tiefer als der Schmerz um Bonnies Tod, dessen erste unerträgliche Seelenqual
schon einem Gefühl der müden Ergebung Platz gemacht hatte. Die unheimliche
Ahnung kommenden Unheils aber wollte nicht weichen. Ihr war, als laure etwas
Schwarzverhülltes dicht hinter ihr und als verwandelte sich, wo sie auch
hintrat der feste Boden unter ihren Füßen in Triebsand.
Derartige
Ängste hatte sie noch nie erlebt. Ihr Leben lang hatte sie mit beiden Füßen
fest auf der Erde gestanden und sich nur vor dem Sichtbaren gefürchtet, vor
Unbill, Hunger, Armut und vor dem Verlust von Ashleys Liebe. Gefühle zu
zergliedern, lag ihr nicht; dennoch versuchte sie es jetzt, aber umsonst. Ihr
Lieblingskind hatte sie verloren - das wollte sie ertragen, wie sie schon mehr
des Niederschmetternden ertragen hatte. Sie hatte ja ihre Gesundheit wieder,
sie besaß so viel Geld, wie sie sich nur wünschen konnte. Auch ihren Ashley
hatte sie immer noch, wenn sie ihn auch jetzt immer seltener sah. Nicht einmal
die Befangenheit, die seit Melanies unseliger Überraschungsgesellschaft zwischen
ihnen herrschte, konnte sie anfechten. Das ging vorüber. Nein, nicht Schmerz,
nicht Hunger, nicht den Verlust ihrer Liebe fürchtete sie. Das hätte sie nie so
zu Boden gedrückt wie dieses Gefühl völliger Verworrenheit, diese fressende
Angst, die dem Grauen ihres alten bösen Traumes so schrecklich ähnelte, dem
Traum von einem dichten, wallenden Nebel, in dem sie atemlos umherirrte, ein
verlaufenes Kind, das eine Zuflucht sucht und nicht findet.
Sie dachte
daran zurück, wie Rhett ihr immer die Ängste weggelacht hatte. Sie spürte im
Geiste wieder den Trost, den sie an seiner breiten braunen Brust und in seinen
starken Armen gefunden hatte. Sie wendete sich ihm wieder zu. Seit Wochen zum
erstenmal sah sie ihn richtig an. Da ward sie einer Veränderung inne und
erschrak. Dieser Mann hatte das Lachen verlernt. Von ihm war kein Trost zu
erwarten.
Nach
Bonnies Tod war sie so empört über ihn gewesen, so tief in ihren eigenen
Schmerz versunken, daß sie es nicht über sich gebracht hatte, mehr als einige
höfliche Worte vor den Dienstboten an ihn zu richten. Allzu unverwischbar war
ihr Bonnies flinkes Getrappel und sprudelndes Gelächter noch in der Erinnerung,
als daß sie hätte bedenken können, wie schmerzvoll, schmerzvoller vielleicht
noch als sie, auch er an alles zurückdachte.
In diesen
Wochen waren sie zuvorkommend wie Fremde einander begegnet, die in dem
unpersönlichen Raum eines Hotels zusammentreffen, unter einem Dache wohnen und
miteinander zu Tisch gehen, ohne je einen Gedanken auszutauschen.
In ihrer
Angst und Einsamkeit hätte sie die Schranke jetzt gern durchbrochen, aber er
wahrte den Abstand, als sei ihm daran gelegen, nur das Oberflächlichste mit ihr
zu bereden. Nun, da der Zorn verraucht war, wollte sie ihm gern sagen, daß sie
ihm an Bonnies Tod keine Schuld gab. In seinen Armen wollte sie sich ausweinen
und ihm gestehen, auch sie sei auf des Kindes Reitkünste über die Maßen stolz
gewesen und über die Maßen nachsichtig gegen seine kleinen Schmeicheleien. Gern
hätte sie sich nun vor ihm gedemütigt und gestanden, daß sie ihm nur aus ihrer
eigenen, bitteren Herzensnot die furchtbare Anklage ins Gesicht geschleudert
habe, um ihm weh zu tun und damit ihr eigenes Leid zu beschwichtigen. Aber der
richtige Augenblick dafür wollte sich nicht einstellen.
Rhett
schaute sie aus seinen schwarzen ausdruckslosen Augen an und gab ihr nicht die
Gelegenheit, zu reden. Und je länger sie sich damit trug, desto schwerer wollte
ihr die Bitte um Verzeihung über die Lippen kommen, und schließlich unterblieb
sie ganz.
Warum das
wohl sein mußte? Rhett war ihr Mann, sie hatten das Bett miteinander geteilt,
sie hatten ein Kind gezeugt und geboren und es allzufrüh der Finsternis
zurückgeben müssen, sie waren unlösbar aneinander gebunden. Trost gab es für
sie nur bei dem Vater dieses Kindes, in dem Austausch von Erinnerungen und
gemeinsamen Schmerzen, der zuerst vielleicht weh tut und dennoch lindernd und
heilsam sein konnte. Nun aber stand es so zwischen ihnen, daß sie ebensogut
einem völlig Fremden hätte in die Arme sinken können.
Er blieb
nur selten zu Hause. Saßen
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