Margaret Mitchell
Womit konnte sie Rhett in seinem Kummer trösten und zur
Vernunft bringen? Einen Augenblick stand sie unschlüssig da, und durch die
geschlossene Tür drang das helle Lachen ihres Jungen an ihr Ohr. Eiskalt
durchfuhr sie plötzlich der Gedanke, auch er könne sterben. Wenn nun ihr Beau
es wäre, der oben läge, sein kleiner Körper kalt und starr, sein frohes
Gelächter für immer verstummt?
»O Gott«,
rief sie ganz laut in ihrer Angst, und im Geist drückte sie ihr Kind fest ans
Herz. Wie gut konnte sie Rhett alles nachfühlen! Wenn Beau stürbe ... niemals
könnte sie ihn fortbringen und in Sturm und Regen und Finsternis allein lassen!
»Der arme,
arme Kapitän Butler! Auf der Stelle gehe ich zu ihm.«
Eilig ging
sie ins Eßzimmer zurück, sagte Ashley ein paar Worte ins Ohr und erschreckte
ihren kleinen Jungen fast damit, wie sie ihn ungestüm an sich preßte und seine
blonden Locken inbrünstig küßte.
Ohne Hut
lief sie aus dem Hause, die Serviette hielt sie noch immer in der Hand, Mammys
alte Beine konnten ihr kaum folgen. Als sie in Scarletts Halle war, nickte sie
kurz der Familie zu, die in der Bibliothek versammelt war, die verängstigte Miß
Pittypat, die stattliche alte Mrs. Butler, Will und Suellen. Rasch ging sie
hinauf, Mammy keuchte hinter ihr her. Einen Augenblick blieb sie vor Scarletts
verschlossener Tür stehen, aber Mammy zischelte: »Ach Gott, Missis, lieber
nicht!«
Melanie
durchschritt den Flur ein wenig langsamer und stand vor Rhetts Zimmer. Einen
Augenblick zauderte sie, als wolle sie am liebsten wieder umkehren. Dann aber
nahm sie sich zusammen wie ein Soldat vor der Schlacht, klopfte an und rief
leise: »Bitte, lassen Sie mich ein, Kapitän Butler. Ich möchte Bonnie noch
einmal sehen.«
Rasch
öffnete sich die Tür. Mammy wich in den dunklen Flur zurück und sah Rhetts
Gestalt riesengroß und dunkel vor den leuchtenden Kerzen stehen. Er schwankte,
man roch den Whiskydunst in seinem Atem. Einen Augenblick sah er auf Melanie
hernieder, dann nahm er sie beim Arm, zog sie herein und schloß die Tür.
Mammy sank
erschöpft auf einen Stuhl, der nahe der Tür stand, ihr unförmiger Körper quoll
nach allen Seiten über. Sie saß ganz still, weinte und betete vor sich hin. Hin
und wieder hob sie den Saum ihres Kleides und wischte sich die Augen. Aber so
angestrengt sie auch horchte, von drinnen drang kein Wort heraus, nur ein
leises, häufig unterbrochenes Summen.
Nach einer
endlosen Weile öffnete sich die Tür, und Mellys bleiches abgespanntes Gesicht
zeigte sich.
»Rasch,
bring mir eine Kanne Kaffee und etwas Butterbrot.«
Wenn der
Teufel hinter ihr her war, konnte Mammy so flink wie ein geschmeidiges Negermädchen
von sechzehn Jahren sein. Ihre Begier, in Rhetts Zimmer zu gelangen, beflügelte
sie bei ihrer Arbeit, aber ihre Hoffnung wurde enttäuscht, denn Melanie öffnete
die Tür nur einen Spalt breit und nahm ihr das Tablett ab. Lange spitzte Mammy
die scharfen Ohren, aber wieder konnte sie nichts verstehen. Sie hörte nur das
Geklapper des Geschirrs und Melanies weiche, gedämpfte Stimme, und dann krachte
eine Bettstelle wie unter einem schweren Körper, und man hörte Stiefel zu Boden
fallen.
Nach einer
Pause erschien Melanie an der Tür, aber soviel Mühe Mammy sich auch gab, sie
konnte nicht an ihr vorbei ins Zimmer hineinschauen. Melanie sah müde aus,
Tränen hingen ihr in den Wimpern, in ihren Zügen aber lag wieder die alte
Klarheit.
»Geh, sag
Miß Scarlett, Kapitän Butler hat nichts dagegen, daß die Beerdigung morgen
stattfindet«, flüsterte sie.
»Gott sei
Dank«, stieß Mammy hervor. »Wie in aller Welt ... «
»Nicht so
laut! Er will schlafen. Und Mammy, sag auch Miß Scarlett, ich bleibe die ganze
Nacht hier. Bring mit etwas Kaffee hierher!«
»Hierher?«
»Ja, ich
habe Kapitän Butler versprochen, wenn er sich schlafen legt, wolle ich die
ganze Nacht bei Bonnie wachen. Nun geh zu Miß Scarlett, damit sie sich nicht
länger ängstigt.«
Mammy
machte sich über den Flur auf den Weg. Unter ihrem schweren Körper erzitterte
der Fußboden, in ihrem erlösten Herzen aber sang es »Hallelujah.« Nachdenklich
blieb sie vor Scarletts Tür stehen, in ihrem Kopf gärte es vor Dankbarkeit und
Neugier.
»Wie Miß
Melly das wohl gemacht hat? Das soll nun einer begreifen! Die Engel streiten
wohl auf ihrer Seite. Ich will es Miß Scarlett sagen, daß morgen die Beerdigung
ist. Daß aber Miß Melly bei der kleinen Miß wacht, sage ich ihr lieber nicht.
Das wird Miß
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