Margaret Mitchell
nun
kommen sollten, und schloß schaudernd die Augen. Aber mit aller Kraft nahm sie
sich zusammen. Jetzt mußte sie für Ashley sorgen. Einst, da sie auf Tara
erschöpft und halb betrunken im Mondenschein gelegen, war ihr schon einmal die
Erkenntnis gekommen: »Lasten sind für Schultern da, die stark genug sind, sie
zu tragen.« Ja, ihre Schultern waren stark und Ashleys nicht. So nahm sie denn
die Last auf die Schultern, und mit einer Ruhe, die sie keineswegs wirklich
verspürte, küßte sie ihm die nasse Wange, ohne Fieber, ohne Leidenschaft und
Verlangen, ganz kühl und sanft.
»Wir
kommen schon durch ... so oder so«, sagte sie.
Jäh wurde
eine Tür nach der Halle geöffnet, Dr. Meades Stimme ertönte scharf und
dringend:
»Ashley!
Schnell!«
»Mein
Gott, sie ist tot«, dachte Scarlett, »und Ashley war nicht bei ihr, um Abschied
zu nehmen.«
»Schnell!«
rief sie ihn an und rüttelte ihn, denn er starrte wie betäubt vor sich hin.
»Schnell!«
Sie
drängte ihn zur Tür hinaus. Von ihrem Wort elektrisiert, lief er in die Halle
hinaus, den Handschuh immer noch fest in der Hand. Ein paar rasche Schritte,
dann hörte sie die Tür gehen.
»Mein
Gott«, sagte sie noch einmal. Langsam ging sie ans Bett, setzte sich darauf und
ließ den Kopf in die Hände sinken. Auf einmal fühlte sie sich so müde wie noch
nie im Leben. Als dann die Tür ins Schloß fiel, riß die Spannung plötzlich ab,
die sie aufrechtgehalten hatte. Sie war zu Tode erschöpft und keines Gefühls
mehr mächtig. Nicht Kummer und Gewissensbisse empfand sie mehr, nicht Furcht
und Schaudern. Sie war nur müde. Das Hirn tickte ihr dumpf und mechanisch wie
die Uhr auf dem Kamin.
Ein
Gedanke nur stieg aus ihrer Stumpfheit empor. Ashley liebte sie nicht, hatte
sie in Wirklichkeit auch nie geliebt, und diese Erkenntnis tat nicht weh.
Eigentlich sollte es doch weh tun. Untröstlich sollte sie sein und gebrochenen
Herzens mit dem Schicksal hadern. Lange, lange hatte sie sich auf seine Liebe
gestützt, auf vielen dunklen Wegen war sie ihr Halt gewesen. Und doch war es
so, er liebte sie nicht, und ihr war es gleichgültig. Es war ihr gleichgültig,
weil auch sie ihn nicht liebte. Sie liebte ihn nicht, und darum konnte nichts
von all seinen Worten und Taten sie mehr schmerzen.
Sie legte
sich aufs Bett und rückte den Kopf müde auf dem Kissen zurecht. Vergeblich
wehrte sie sich gegen den Gedanken, vergeblich sagte sie sich: »Aber ich liebe
ihn doch, ich habe ihn Jahre und Jahre geliebt. Liebe kann doch nicht in einem
Augenblick zur Gleichgültigkeit werden!«
Aber Liebe
konnte sich wandeln und hatte es getan.
»Er war
von jeher überhaupt nur in meiner Einbildung vorhanden«, dachte sie matt. »Ich
habe etwas geliebt, was ich mir zurechtgemacht habe, was von vornherein tot war
wie Melly jetzt. Ein schönes Gewand habe ich gemacht und mich darin verliebt.
Als Ashley dahergeritten kam, ein hübscher Junge, nur ganz, ganz anders, da habe
ich ihm das Gewand angezogen und es ihn seither tragen lassen, ob es ihm paßte
oder nicht. Wer er in Wirklichkeit war, das habe ich nie gesehen. Die ganze
Zeit hindurch habe ich das schöne Gewand geliebt, ihn aber nicht.«
Und nun
mußte sie über die Jahre zurückblicken und sah sich in dem grüngeblümten
Barchentkleid im Sonnenschein auf Tara stehen, hingerissen von dem jungen
Reiter und seinem blonden Haar, das in der Sonne glänzte wie ein silberner
Helm. Jetzt erkannte sie deutlich, daß er eigentlich nur eine Kinderlaune von
ihr war, so unerheblich wie die Aquamarin-Ohrringe, die sie als verwöhntes
kleines Mädchen Gerald abgeschmeichelt hatte. Sobald sie sie besaß, war ihr
Wert dahin, wie alles - bis auf Geld - seinen Wert verlor, wenn man es erst
einmal hatte. So wäre es ihr auch mit ihm ergangen, hätte sie in jenen ersten
längst vergangenen Tagen die Genugtuung gehabt, seine Hand ausschlagen zu
können. Hätte sie ihn je in der Gewalt gehabt und ihn Feuer fangen sehen, hätte
er eifersüchtig gegrollt und gefleht wie die anderen Jungen, die Betörung wäre
ihr vergangen wie Morgendunst vor der Sonne, sobald ihr ein anderer Mann
begegnet wäre ...
»Wie
töricht bin ich gewesen!« dachte sie bitter. »Nun muß ich dafür bezahlen. Nun
ist es soweit, wie ich es mir oft gewünscht habe. Melanie sollte sterben, damit
ich ihn haben könnte. Nun ist sie tot, nun habe ich ihn und will ihn nicht
mehr. Um seiner verwünschten Ehre willen wird er mich fragen, ob ich mich von
Rhett scheiden lassen und ihn
Weitere Kostenlose Bücher