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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Arm und flüsterte: »Was ist?«
    Seine
Augen forschten inständig in ihrem Gesicht, suchten, suchten verzweifelt nach
etwas, was er nicht darin fand. Endlich sprach er, und es war nicht seine
Stimme.
    »Mich verlangte
nach dir«, sagte er. »Ich wollte zu dir laufen ... laufen wie ein Kind, das
sich trösten lassen will ... und nun finde ich ein Kind, das sich noch mehr
fürchtet als ich und zu mir gelaufen kommt.«
    »Du? Du
kannst dich doch nicht fürchten«, rief sie ihm zu. »Dich hat nie etwas
geängstigt. Du warst doch immer so stark ... «
    »Wenn ich
jemals stark war, dann nur, weil sie hinter mir stand«, sagte er mit brechender
Stimme, schaute auf den Handschuh hernieder und strich die Finger glatt. »Nun
geht alle Kraft, die ich gehabt habe, mit ihr dahin.«
    Seine
Stimme klang so verzweifelt, daß sie die Hand sinken ließ und vor ihm
zurückwich. In dem drückenden Schweigen, das nun eintrat, spürte sie, daß sie
ihn eigentlich zum erstenmal in ihrem Leben verstand.
    »Aber«, sagte
sie langsam. »Du liebst sie doch, Ashley, nicht wahr?«
    Es kostete
ihn Mühe, zu sprechen.
    »Sie ist
der einzige meiner Träume, der gelebt und geatmet hat und vor der Wirklichkeit
bestand.«
    »Träume«,
dachte sie, und die alte Gereiztheit wollte sich wieder regen. »Immer Träume,
nie ein wenig gesunder Menschenverstand!«
    Mit
schwerem und ein wenig bitterem Herzen sagte sie: »Du bist ein Tor gewesen.
Ashley. Hast du denn nicht gesehen, daß sie millionenmal soviel wert ist wie
ich?«
    »Scarlett,
bitte! Wenn du wüßtest, was ich durchgemacht habe, seitdem der Doktor ... «
    »Was du
durchgemacht hast! Meinst du, ich ... ach, Ashley, seit Jahren hättest du
wissen müssen, daß du sie liebst und nicht mich. Warum hast du das nicht
gewußt? Alles wäre dann anders gekommen, ganz anders. Du hättest es erkennen
müssen und mich nicht zappeln lassen mit all deinem Gerede von Ehre und
Verzicht! Hättest du es mir vor Jahren gesagt ... so oder so hätte ich es
ertragen. Aber bis jetzt, bis Melly stirbt, hast du gebraucht, um
dahinterzukommen, und nun ist es zu spät. Ach, Ashley, so etwas muß doch der
Mann wissen ... die Frau kann es nicht. Es hätte dir doch sonnenklar sein
müssen, daß du sie all die Zeit geliebt und mich nur begehrt hast... wie Rhett
die Watling.«
    Unter
ihren Worten zuckte er zusammen, doch schaute er ihr immer noch in die Augen
mit einem Blick, der um Schweigen, um Trost flehte. Jeder Zug in seinem Gesicht
gab ihr recht. Schon die gebeugten Schultern zeigten ihr, daß er sich selbst so
grausam quälte, wie sie selber es nie vermochte. Stumm stand er vor ihr, den
Handschuh in der Faust, als wäre es eine verständnisvolle Hand, und in der
Stille, die nun folgte, fiel alle Entrüstung von ihr ab. Das Mitleid kam über
sie, mit einem Anflug von Verachtung. Sie machte sich bittere Vorwürfe. Einen
geschlagenen wehrlosen Mann trat sie mit Füßen und hatte doch Melanie
versprochen, für ihn zu sorgen.
    »Kaum habe
ich es ihr versprochen, da sage ich ihm gemeine verletzende Worte, die
überhaupt nicht gesagt zu werden brauchen. Er weiß, wie es ist, und geht daran
zugrunde«, dachte sie untröstlich. »Er ist eben kein erwachsener Mensch. Er ist
ein Kind wie ich und ganz krank vor Angst, weil er sie nun verliert. Melanie
wußte, was kommen mußte ... Melanie hat ihn viel besser gekannt als ich. Darum
auch nannte sie ihn und Beau in einem Atemzug, als sie mir sagte, daß ich für
sie sorgen sollte. Wie kann Ashley dies je überstehen? Ich überstehe es, ich
halte alles aus. Ich habe schon viel aushalten müssen. Er aber kann es nicht,
er hält nichts aus ohne sie.«
    »Vergib
mir, Lieber«, sagte sie sanft und streckte die Arme aus. »Ich weiß, wie weh es
tut. Aber sie weiß ja nichts, ihr ist nie der kleinste Verdacht gekommen ... so
gut hat Gott es mit uns gemeint.«
    Rasch kam
er auf sie zu und umfaßte sie und wußte kaum, was er tat. Sie stellte sich auf
die Zehenspitzen, legte ihre warme Wange tröstend gegen die seine und strich
ihm über das Haar.
    »Weine
nicht, Lieber. Ihr zuliebe mußt du tapfer sein. Gleich wird sie dich sehen
wollen, dann mußt du tapfer sein. Sie darf nicht merken, daß du geweint hast,
sonst quält sie sich.«
    Er hielt
sie so fest umschlungen, daß sie kaum atmen konnte, und flüsterte mit
halberstickter Stimme: »Was soll ich tun? Ich kann nicht ... ich kann nicht
ohne sie leben.«
    »Ich auch
nicht«, dachte sie und sah die langen Jahre ohne Melanie vor sich, die

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