Margaret Mitchell
und man obendrein noch nicht zwanzig Jahre alt war und doch schon als
alte Jungfer galt. Ob India wohl sehr böse war, daß sie ihr Stuart weggenommen
hatte? Es hieß, sie sei noch immer in ihn verliebt, aber man konnte nie genau
wissen, was in einem Wilkes vorging. Trug sie es Scarlett nach, so ließ sie es
doch niemals merken und behandelte ihre Nebenbuhlerin mit der gleichen
zurückhaltenden, liebenswürdigen Höflichkeit, die sie ihr stets gezeigt hatte.
Scarlett
sagte ihr einige freundliche Worte und schickte sich an, die breite Treppe
hinaufzugehen. Da hörte sie sich von einer schüchternen Stimme beim Namen
gerufen, drehte sich um und erblickte Charles Hamilton. Er war ein
gutaussehender Junge mit einem Gewirr von weichen braunen Locken auf der weißen
Stirn und tiefbraunen, reinen, sanften Augen wie ein Schäferhund. In seinen
senfgelben Hosen und seinem schwarzen Rock war er sehr elegant, auf seinem
gefältelten Hemd saß die breiteste, modernste schwarze Krawatte, die man sich
vorstellen konnte. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, als Scarlett sich
ihm zuwandte. Mit Mädchen war er schüchtern, und wie die meisten schüchternen
Männer bewunderte er so lebhafte, selbstsichere Mädchen wie Scarlett aufs
höchste. Sie hatte bisher nie mehr als oberflächliche Höflichkeit für ihn
gehabt, und so benahm ihm die strahlende Freundlichkeit, mit der sie ihn
begrüßte und ihm ihre beiden Hände entgegenstreckte, fast den Atem.
»Ach,
Charles Hamilton, hübscher alter Junge! Ich wette, Sie sind den weiten Weg von
Atlanta nur hergekommen, um mir das arme Herz zu brechen.«
Charles
stotterte fast vor Aufregung, als er die warmen kleinen Hände in den seinen
hielt und ihr in die schillernden Augen sah. So sprachen Mädchen stets mit
anderen Burschen, aber nie mit ihm. Er begriff nicht, warum die Mädchen ihn
immer wie einen jüngeren Bruder behandelten und sehr freundlich mit ihm waren,
sich aber nie dazu herbeiließen, ihn zu necken. Von jeher wünschte er sich, daß
die Mädchen auch mit ihm flirten und scherzen sollten wie mit den anderen
Burschen, die viel weniger gut aussahen als er und zudem mit den Gutem dieser
Welt längst nicht so gesegnet waren. Geschah das aber ganz selten einmal, so
fielen ihm nie passende Antworten ein, und er starb vor Verlegenheit über
seinen hilflos verschlossenen Mund. Danach lag er nächtelang wach, und all die
reizenden Galanterien, die er hätte sagen können, kamen ihm nachträglich in den
Sinn. Aber eine zweite Gelegenheit dafür bot sich nie, denn nach einem oder
zwei vergeblichen Versuchen ließen die Mädchen stets von ihm ab. Sogar mit
Honey, mit der er sich in dem unausgesprochenen Einverständnis befand, daß sie
einander im nächsten Herbst heiraten wollten, war er scheu und still. Zuzeiten
hatte er das niederdrückende Gefühl, daß Honeys kokette Art, ihn als Eigentum
zu behandeln, ihm nicht eben zur Ehre gereichte. Sie war so hinter den Männern
her, daß er sich wohl vorstellen konnte, wie sie mit jedem, der ihr Gelegenheit
gab, ebenso umspringen würde. Die Aussicht, sie zu heiraten, erregte ihn nicht
sonderlich. Die wildromantischen Gefühle, die sich, nach seinen geliebten
Büchern zu urteilen, für einen Liebhaber schickten, vermochte sie nicht in ihm
zu erwecken. Er hatte sich immer danach gesehnt, von einem schönen hinreißenden
Geschöpf voll Feuer und Gefahr geliebt zu werden, und nun neckte ihn Scarlett
O'Hara damit, daß er ihr das Herz bräche!
Er suchte
nach Worten, fand aber keine, und so war er insgeheim froh, daß sie ohne
Unterlaß auf ihn einredete und ihn der Notwendigkeit enthob, Entgegnungen zu
finden. Es war zu schön, um wahr zu sein!
»So, nun
rühren Sie sich nicht vom Fleck, bis ich wiederkomme. Wir wollen beim Essen
zusammen sitzen. Und daß Sie mir nicht mit den anderen Mädchen anfangen, ich
bin furchtbar eifersüchtig!« klang es kaum glaubhaft von den roten Lippen
zwischen den beiden Grübchen, während dichte schwarze Wimpern sich sittsam über
grüne Augen senkten.
»O nein«,
brachte er schließlich leise heraus und ahnte nicht, daß sie ihn dabei wie ein
Kalb aussehend fand, das auf den Metzger wartet.
Sie schlug
ihm leicht mit dem zusammengefalteten Fächer auf den Arm und wandte sich die
Treppe hinauf. Da fiel ihr Blick noch einmal auf den Mann namens Rhett Butler,
der ein paar Schritte von Charles entfernt allein stand. Offenbar hatte er die
ganze Unterhaltung gehört, denn tückisch wie ein Kater lachte er sie an,
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